Brunetti 14 - Blutige Steine
Schreibtisch. Sie blickte zu Brunetti auf und behielt, als sie sein Gesicht sah, was immer sie hatte sagen wollen, für sich.
Mit konspirativ gedämpfter Stimme raunte Brunetti ihr zu: »Ich habe eben vom Vice-Questore erfahren, daß während der Weihnachtsferien Computerleute vom Innenministerium hier gewesen sind. Er sagt, sie hätten die Dateien über den Mordfall am Campo Santo Stefano an ihre Dienststelle weitergeleitet, die jetzt die Ermittlungen führt.« Beim letzten Satz merkte Brunetti, daß er selbst diese leise Stimmlage kaum noch in der Gewalt hatte. Er faßte sich mühsam und fragte abschließend: »Könnten Sie mal nachsehen, Signorina?«
Sie preßte die Lippen zusammen, wie sie es zu tun pflegte, wenn sie gestreßt oder verärgert war. »Das habe ich bereits getan, Commissario. Genau darüber wollte ich eben mit Ihnen sprechen. Es ist alles weg.« Brunetti mußte sich zu ihr hinunterbeugen, um sie zu verstehen.
»Alles? Aber gibt es nicht so was wie Sicherungskopien und ... und ähnliches?« fragte er.
»Doch. Aber die sind auch alle verschwunden. Die haben alles gelöscht.«
»Ist denn das möglich? Ich dachte immer, Sie sind ...« Ihm fehlten die Worte, um auszudrücken, was er über sie und ihre Computerfertigkeiten gedacht hatte.
»Bin ich auch«, sagte Elettra. »Normalerweise. Aber wie Sie selber sagen, waren diese Leute fast eine Woche hier. In der Zeit hätten sie alles finden können.«
»Und? Haben sie?«
Signorina Elettra schüttelte den Kopf. »Nein. Zum Glück habe ich hier bloß die laufenden Fälle gespeichert, und vor Weihnachten hatte ich nur den über den vucumprà. «
»Tatsächlich nur diesen einen?« fragte Brunetti verdutzt. »Aber die, wie heißt es gleich, Festplatten oder Laufwerke« - er zeigte auf ihren Computer -, »sind denn da nicht immer auch Spuren von früheren Dateien drauf?«
»Doch, schon. Aber das ist ein ganz neuer Computer. Ich mußte ihn kurz vor Weihnachten anschaffen, deshalb waren die einzig ... die einzig brisanten Informationen darauf die über den Toten vom Campo Santo Stefano. Und noch nicht einmal die sind vollständig.«
Brunetti dachte an all die Fälle, bei denen sie ihm in der Vergangenheit mit ihren Computerkünsten geholfen, an all die Codes, die sie gebrochen hatte, von den Gesetzen ganz zu schweigen, und er schloß die Augen, weil ihm vor Erleichterung fast schwindelte. Doch dann stutzte er. »Sie mußten einen neuen anschaffen?«
»In meiner Eigenschaft als Verwaltungsassistentin des Vice-Questore«, erwiderte Elettra mit übertriebener Bescheidenheit.
»Und was ist aus dem alten geworden?«
»Den hat Vianello.«
»In seinem Büro?« fragte Brunetti entsetzt.
»Nein, zu Hause.«
»Einfach so?« Handelte es sich hier um eingestandenen Amtsmißbrauch, überlegte Brunetti, oder bloß um einfachen Diebstahl?
»Nein, er mußte ihn der Questura abkaufen. Es gibt klare Richtlinien für die Vergabe von Bürozubehör an Privatpersonen. Beamte im Staatsdienst sind ausgeschlossen.«
»Aber ist ein Polizist denn kein Staatsdiener?« fragte Brunetti verdutzt.
»Doch, natürlich. Aber Vianellos Schwiegermutter ist nicht bei der Polizei.«
Er konnte nicht anders. »Wieviel mußte er - sie - denn noch dafür bezahlen?«
»Zehn Euro.«
»Lassen Sie mich raten: geplanter Verschleiß?«
»Wo denken Sie hin, Commissario. Das Laufwerk war defekt, und der Techniker, den ich zu Rate zog, meinte, das sei nicht mehr zu reparieren und wir sollten die Kiste zum Schrottwert verscherbeln.«
»Vermutlich hat er Ihnen das auch schriftlich gegeben.«
»Selbstverständlich.«
»Und dann?«
»Dann erbot sich Vianellos Schwiegermutter, das Teil zu kaufen, damit wir nicht noch jemanden für den Abtransport bezahlen müßten.«
Brunetti wartete darauf, daß Elettra weitersprach, aber sie schwieg. Also stupste er ihre Geschichte an wie einen losen Zahn: »Und weiter?«
»Nun, eines Abends war ich bei Vianello zu Besuch, und Nadia bat mich, mir den Computer doch noch einmal vorzunehmen. Ja, und da sah ich plötzlich, woran es fehlte, und habe ihn wieder in Gang gebracht.« Sie lächelte selig in der Erinnerung an diesen Triumph.
»Bestimmt waren sie alle sehr erstaunt.«
»Einfach überwältigt, Commissario.«
25
D ie nur knapp vermiedene Kollision mit dem Innenministerium hatte Brunetti arg mitgenommen, selbst wenn er nicht wußte, was die Spione hätten finden können, falls ihnen Signorina Elettras alter Computer in die Hände gefallen wäre.
Weitere Kostenlose Bücher