Brunetti 14 - Blutige Steine
Sie sind in Ordnung.«
»Können Sie diesen Mann beschreiben?«
»Groß. Das heißt, nicht viel größer als Sie, aber kräftiger, so an die zehn Kilo schwerer. Quadratschädel.« Der Barmann hielt inne.
»Ist Ihnen sonst noch etwas an ihm aufgefallen?« fragte Brunetti. Ob es Signorina Elettra wohl gelingen würde, sich in die Personalakte eines als verstorben gemeldeten DIGOS-Agenten einzuklinken?
»Nein, nur daß er groß und schwer war.«
Doch da meldete sich einer aus der Kartenrunde zu Wort: »Erzähl ihm von seinen Händen, Giorgio.«
»Stimmt, das hatte ich vergessen. Merkwürdig. Der Typ hatte Hände wie ein Affe, über und über behaart.«
24
U nd dann war Weihnachten. Da die meisten Leute sich wie üblich Heiligabend und auch noch den Tag nach Santo Stefano freinahmen, kam diesmal ein verlängertes Wochenende von fünf Tagen zustande, an denen nicht nur in der Questura, sondern fast überall im Land nichts Nennenswertes passierte. Außer in den Geschäften, die ihre Öffnungszeiten sogar verlängerten, um die Kundschaft am Jahresende noch zu jenem Kaufrausch zu animieren, mit dessen Hilfe die Statistiker nachher die Bilanzen schönten.
Brunetti absolvierte das volle Programm: die Geschenkejagd in letzter Minute, die wechselseitigen Besuche und Umtrunke, das endlose Tafeln, Bescherungen, noch mehr Getafel. Er speiste mit Paolas Familie, und als er seinen Schwiegervater einmal kurz unter vier Augen zu sprechen bekam, sagte ihm der Conte, er habe gewisse Freunde gebeten, ihn einzuweihen, falls ihnen etwas über die Ermordung des Afrikaners in Venedig zu Ohren käme oder sich vielleicht gar eine Verbindung zwischen seinem Tod und einem geplanten Waffengeschäft abzeichnen sollte. Alles, was Brunetti nach den fünf festlichen Tagen vorzuweisen hatte, waren ein neuer grüner Pullover von Paola, die lebenslange Mitgliedschaft in einer Gesellschaft zum Schutz der Dachse von Chiara, von Raffi eine zweisprachige Ausgabe der Plinius-Briefe und die Überzeugung, daß er sich wohler fühlen würde, wenn er sich vom Schuster ein weiteres Loch in den Gürtel stanzen ließe.
Als er wieder in die Questura kam, war die Stimmung gedrückt, so als litten alle unter den Nachwirkungen der ausgedehnten Völlerei. Nachdem anscheinend versäumt worden war, während der Feiertage die Heizung herunterzudrehen, konnte man nun buchstäblich fühlen, wie die überschüssige Wärme sich in den Räumen staute. Da der erste Arbeitstag sonnig und für die Jahreszeit zu warm war, half es wenig, die Fenster zu öffnen: Die Hitze strahlte von den Wänden ab, und die Beamten mußten wohl oder übel in Hemdsärmeln am Schreibtisch sitzen.
Urlaubsheimkehrer erstatteten die üblichen Einbruchs- und Diebstahlsanzeigen und hielten die Streifen auf Trab. Bald schon zeigte sich, daß man es mit zwei Banden zu tun hatte: die einen Profis, die bloß auf das Allerteuerste aus waren, und die anderen Drogensüchtige, die nur mitnahmen, was sich schnell zu Geld machen ließ. Die Reichen fielen hauptsächlich der ersten Bande zum Opfer, die weniger gut Betuchten der zweiten. Immerhin heiterten zwei skurrile Protokolle Brunetti etwas auf: Die Profis hatten eine alternde Filmdiva von der Giudecca, bei der sie eingebrochen waren, brüskiert, indem sie ihren Straßschmuck verschmähten und wieder abzogen, ohne irgend etwas mitgehen zu lassen. Die Junkies wiederum waren ahnungslos an einem Klimt und einem de Chirico vorbeigelaufen, als sie einen fünf Jahre alten Laptop und einen tragbaren CD-Spieler aus einer Wohnung entwendeten.
Da bald Neujahr und mithin Zeit für gute Vorsätze war, begab sich Brunetti nach dem Mittagessen hinunter ins Büro des Vice-Questore. Signorina Elettra war nicht im Vorzimmer, und so klopfte er selbst an Pattas Tür.
»Avanti«, ertönte es von drinnen, und Brunetti trat ein.
»Ah, Brunetti«, begrüßte ihn Patta. »Ich hoffe, Sie hatten ein schönes Weihnachtsfest - und alles Gute zum neuen Jahr.«
Brunetti hätte es fast den Atem verschlagen. »Vielen Dank, das wünsche ich Ihnen auch, Vice-Questore.«
»Ja, hoffen wir das Beste.« Patta lehnte sich in seinem Sessel zurück und wies einladend auf einen der Besucherstühle. Brunetti warf, während er Platz nahm, einen Blick auf seinen Vorgesetzten und sah erstaunt, daß Patta diesmal ohne die gewohnte Urlaubsbräune ins Büro zurückgekehrt war. Auch das sonst übliche Bäuchlein fehlte; ja, Pattas Hemdkragen schien fast ein bißchen zu weit, es sei denn, er hätte
Weitere Kostenlose Bücher