Brunetti 14 - Blutige Steine
Pistole zu entfernen.«
Brunetti schien es ratsam, nicht weiter auf diese Geschichte einzugehen. »Haben Sie eine Ahnung, wo Sie den hier schon mal gesehen haben könnten?« fragte er und tippte mit dem Zeigefinger auf das Bild des Toten.
»Nein, Commissario. Ich kann mich nicht entsinnen, aber ich weiß, daß ich ihm irgendwo begegnet bin.« Gravini griff nach dem Stapel Fotos und ging die Aufnahmen der Reihe nach durch. Endlich sagte er: »Kann ich die mitnehmen, Commissario? Und den Männern zeigen, die wir in Gewahrsam hatten?«
»Sie meinen ...« Brunetti wußte nicht recht, wie er Gravinis Informanten bezeichnen sollte. Als »Kollegen« des Toten? Nein, das klang zu sehr nach geordneter Arbeitswelt. Endlich entschied er sich für: »Seinen Freunden?«
»Ja. Einer ist dabei, den habe ich mindestens schon fünfmal festgenommen. Den könnte ich auf jeden Fall fragen.«
»Aber hauen die nicht alle ab, sowie sie euch kommen sehen?« fragte Pucetti.
»Nein, nein, Sie machen sich da falsche Vorstellungen«, versetzte Gravini. »Er und ein paar Kumpels von ihm teilen sich eine Wohnung gleich hinter der Via Garibaldi. Meine Mutter lebt da ganz in der Nähe, und wenn ich sie besuchen gehe, treffen wir uns manchmal, falls ...« Gravini stockte, suchte nach den rechten Worten. »Also falls wir beide außer Dienst sind. Er heißt Muhammad und war früher Lehrer. Ihn könnte ich fragen.«
»Und Sie glauben, er vertraut Ihnen?« fragte Brunetti. Gravini zuckte die Achseln. »Das wird sich zeigen.« Brunetti erklärte sich einverstanden. Gravini solle die Fotos herumreichen und vielleicht Muhammad bitten, sie auch den Männern zu zeigen, mit denen er zusammenarbeitete. »Und sagen Sie den Leuten, daß wir nichts weiter wollen als einen Namen und eine Adresse«, betonte Brunetti. »Ansonsten keine Befragungen, keine Scherereien, kein gar nichts.« Aber ob die Afrikaner dem Wort eines Polizisten trauen würden? Sie hatten wohl wenig Grund dazu. Auch wenn es welche wie Gravini gab, die in einen Kanal sprangen, um einen vucumprà zu retten, teilte die Mehrheit der Polizisten eher die Ansicht des Alten vom Vaporetto - keine gute Grundlage für eine Zusammenarbeit.
Nachdem er sich bei den Beamten bedankt hatte, machte Brunetti sich auf den Weg zu Signorina Elettras Büro, wo er sie diesmal an ihrem Schreibtisch antraf. Seit ein paar Tagen schon rückte die Signorina der winterlichen Tristesse mit leuchtenden Farben zu Leibe: Am letzten Mittwoch hatten kanariengelbe Schuhe den Auftakt gemacht, gefolgt von einer smaragdgrünen Hose am Donnerstag und einer orangeroten Jacke am Freitag. Heute, zum Wochenbeginn, hatte sie sich offenbar dafür entschieden, den Hals zu überspringen - ein so vorhersehbares Accessoire wie ein knallbunter Schal wäre wohl nicht originell genug gewesen -, und statt dessen ein Seidentuch um ihren Kopf drapiert, das mit Papageien bedruckt war.
»Reizende Vögel«, sagte Brunetti, als er ins Zimmer trat.
Sie blickte auf und dankte ihm mit einem Lächeln für das Kompliment. »Vielleicht schlage ich dem ViceQuestore nächste Woche mal vor, auch so was zu probieren.«
»Was denn? Gelbe Schuhe oder den Turban?« fragte Brunetti, nur um zu zeigen, daß er sich all ihre Einfälle gemerkt hatte.
»Nein, ich meine seine Krawatten. Die sind immer gar so dezent.«
»Die Krawattennadeln aber nicht. Sind die nicht mit verschiedenfarbigen Edelsteinen besetzt?« warf Brunetti ein.
»Aber mit so kleinen, daß man sie kaum sieht«, antwortete Elettra. »Ich überlege, ob ich ihm nicht ein paar neue besorgen soll.«
Meinte sie jetzt Krawatten oder die dazugehörigen Schmucknadeln? Was auch immer. »Und sie dann als Bürobedarf abrechnen?« fragte er.
»Ja, natürlich«, antwortete sie. »Vielleicht könnte ich sie unter ›Wartungskosten‹ verbuchen.« Dann wurde sie dienstlich und fragte: »Was kann ich für Sie tun, Commissario?«
Brunetti konnte sich nicht entsinnen, wann sie das letzte Mal so bereitwillig ihre Hilfe angeboten hatte, sei es ihm oder dem Vice-Questore gegenüber. »Wenn Sie so gut sein wollen und einmal nachsehen, was Sie über die vucumprà in Erfahrung bringen können«, bat er.
»Steht alles hier drin«, erwiderte sie und deutete auf den Computer. »Oder in den Akten von Interpol.«
»Nein, nein«, wehrte Brunetti ab, »solche Informationen meine ich nicht. Mich interessiert, was man wirklich über sie weiß: wo und wie sie leben, was sie für Menschen sind.«
»Die meisten kommen,
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