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Brunetti 14 - Blutige Steine

Brunetti 14 - Blutige Steine

Titel: Brunetti 14 - Blutige Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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hilft?«
    »Wer weiß!« Rubini schüttelte resigniert den Kopf. »Immerhin hält es uns den Vice-Questore für ein, zwei Wochen vom Hals, und ich denke, wenn wir ernsthaft gegen die vucumprà vorgingen, also sie einsperrten und ihre Waren konfiszierten, dann würden sie wohl tatsächlich irgendwo anders hinziehen.«
    »Und weiter?« fragte Brunetti.
    Rubini schlug die Beine übereinander, holte eine Zigarette aus der Tasche und steckte sie an, ohne um Erlaubnis zu fragen. »Meine Männer lassen ihnen immer ein paar Taschen, obwohl das gegen die Vorschrift ist. Aber die armen Kerle müssen schließlich von irgendwas leben. Da können wir ihnen doch nicht ihre gesamte Ware abnehmen.«
    Brunetti schob dem Inspektor den Deckel eines Nutellaglases als Aschenbecher hin. »Wie ist das eigentlich mit den Taschen?« fragte er.
    Rubini zog gierig an seiner Zigarette und blies den Rauch durch die Nase aus. »Welche meinen Sie? Die, die wir ihnen lassen, oder die konfiszierten?«
    »Da ist doch dieses Lagerhaus in Mestre, nicht?« fragte Brunetti zurück.
    »Mittlerweile sind's schon zwei.« Rubini beugte sich vor und schnippte etwas Asche in den Nutelladeckel. »Steht alles da drin«, fuhr er fort und wies mit der Hand, in der er die Zigarette hielt, auf die Unterlagen. »In diesem Jahr haben wir bereits an die zehntausend Taschen konfisziert. Aber egal, wie schnell wir sie zerschneiden oder verbrennen, es werden immer mehr. Unsere Asservatenkammern platzen bald aus allen Nähten.«
    »Und wie soll es weitergehen?«
    Rubini drückte die Zigarette aus und sagte hörbar frustriert: »Wenn es nach mir ginge, würden die vucumprà ihre Taschen zurückbekommen, damit sie nicht ihr bißchen Geld für den Ankauf neuer Ware opfern müssen. Bloß, was würde dann aus all den Leuten in den Fabriken von Puglia, wo die Dinger hergestellt werden?« Abrupt stand er auf und sagte mit einer Kopfbewegung zu den Akten hin: »Wenn Sie noch Fragen haben, rufen Sie mich an.« An der Tür wandte er sich noch einmal nach Brunetti um und hob die Hand zu einer Gebärde hoffnungsloser Kapitulation. »Das ist eine völlig verfahrene Geschichte.«

7
    M it der Ilias hatte Brunetti sich erst auf der Universität ernsthaft auseinandergesetzt - die unbeholfenen Übersetzungsübungen auf dem Gymnasium zählten nicht - und dabei eine merkwürdige Erfahrung gemacht. Obwohl er das Original nie gelesen hatte, war es so sehr Teil seiner Welt und seiner Kultur, daß er jedesmal schon im vorhinein wußte, wie die einzelnen Gesänge ausgehen würden. Weder Paris' Verrat noch Helenas frivole Willfährigkeit überraschten ihn; er wußte, daß der kühne Priamus verloren war und daß keine noch so kühne Heldentat des edlen Hector Troja würde retten können.
    Rubinis Akten vermittelten ihm ein ganz ähnliches Deja-vu-Gefühl. Schon das Resümee darüber, wie die Polizei seinerzeit auf die Ankunft der vucumprà in Italien reagiert hatte, kam ihm erstaunlich bekannt vor. Er wußte, daß die fliegenden Händler ursprünglich aus Marokko und Algerien eingewandert waren und in Italien einen schwungvollen Handel mit geschmuggelten Kunstgegenständen aufgezogen hatten. Selbst nach all den Jahren erinnerte er sich noch an das Sortiment von damals: handgeschnitzte Holztiere, Glasperlenschmuck, Ziermesser und protzige Krummsäbel-Imitationen. Der Bericht lieferte zwar keine Erklärung dazu, aber Brunetti wußte auch so, daß der Spitzname für diese erste Welle französischsprachiger Straßenhändler sich aus ihrem in verballhorntem Italienisch vorgetragenen Lockruf herleitete: Vuoi comprare ? - vucumprà.
    Sobald die Araber von den Schwarzafrikanern abgelöst wurden, sank die Kriminalitätsrate drastisch: Zwar blieben der Verstoß gegen die Einwanderungsgesetze und der strafbare Verkauf von Plagiaten bestehen, aber Einbruch, Diebstahl und Gewaltverbrechen kamen in den Verhaftungsprotokollen der Männer, die den Namen vucumprà von ihren Vorgängern geerbt hatten, praktisch nicht mehr vor.
    Die Araber hatten sich längst lukrativeren Beschäftigungen zugewandt; viele waren mit ihren von den italienischen Behörden so unbürokratisch erteilten Aufenthaltsgenehmigungen weitergezogen in die nördlichen EU-Länder. Ursprünglich waren viele Venezianer den Senegalesen, die keinerlei kriminelle Neigung erkennen ließen, durchaus wohlwollend begegnet, und wie Gravinis Geschichte zeigte, hatten sie sich sogar den Respekt einiger Streifenbeamter errungen. In den letzten Jahren

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