Brunetti 14 - Blutige Steine
Werkstatt nehmen. Heute führt sein Sohn das Geschäft, aber der Alte arbeitet immer noch mit. Vielleicht läßt sich das Holz, wenn er es einweicht und biegsam macht, unter einer Presse wieder in Form bringen. Aber er hat mich schon gewarnt, daß dabei die Farbe ausbleicht und es schwer werden dürfte, die frühere Patina wiederherzustellen.«
Abermals zuckte er mit den Schultern. »Ich versuche mir einzureden, daß es sich schließlich nur um irdische Güter handelt. Aber wenn man bedenkt, wie viele Jahrhunderte sie überdauert haben, dann ist es eben doch ein Jammer, sie jetzt verloren geben zu müssen.«
Brunetti wußte zwar von Signorina Elettra, daß Cuzzoni aus Mira stammte, hielt es aber für klüger, sich unwissend zu stellen. Und so fragte er, mit ausladender Geste um sich deutend: »Ist das Ihr Familiensitz?«
»Nein, nichts dergleichen. Ich lebe erst seit acht Jahren hier. Doch mittlerweile hänge ich sehr an der Wohnung, und es tut mir weh, sie derart verunstaltet zu sehen.« Cuzzoni schüttelte lächelnd den Kopf, wie um sich für seine Sentimentalität zu entschuldigen. »Aber die Polizei bemüht sich gewiß nicht eigens her, um sich nach der defekten Waschmaschine meiner Nachbarin zu erkundigen.«
Brunetti erwiderte sein Lächeln. »Nein, da haben Sie recht. Ich komme wegen Ihres Hauses unten am Ende der Via Garibaldi.«
»Ach nein?« Cuzzoni klang interessiert, aber durchaus unbefangen.
»Ja, ich wollte mich erkundigen, ob Sie an extracomunitari vermieten.«
Cuzzoni lehnte sich zurück, stützte die Ellbogen auf die Armlehnen und formte mit den aneinandergelegten Fingerkuppen ein Dreieck, auf dem er das Kinn ruhen ließ. »Darf ich fragen, warum Sie das wissen wollen?«
»Es hat nichts mit Miete oder Steuern zu tun«, versicherte ihm der Commissario.
»Aber Signor Brunetti, denken Sie, ich wüßte nicht, daß die Kriminalpolizei Besseres zu tun hat, als nachzuprüfen, ob ich die Mieteinnahmen aus meinen Wohnungen versteuere? Nein, ich wüßte nur gern, warum Sie sich für das Haus interessieren.«
»Nun, es geht um den ermordeten Straßenhändler.« So viel, dachte Brunetti, konnte er immerhin preisgeben.
Cuzzoni senkte den Kopf und preßte die Lippen auf seine nunmehr verschränkten Finger. Nach kurzem Besinnen blickte er wieder zu Brunetti auf. »Das habe ich mir schon gedacht.« Und nach einer weiteren Pause fuhr er fort: »Ja, in dem Haus sind extracomunitari untergebracht. In allen drei Wohnungen. Aber ob der Tote vom Campo Santo Stefano dazugehörte, das kann ich Ihnen leider nicht sagen.«
Brunetti nickte. In den Zeitungen war weder ein Foto des Toten erschienen, noch hatten sie Angaben zu seiner Person veröffentlicht. »Was wissen Sie denn überhaupt über die Leute, an die Sie vermieten?« fragte er.
»Nun, ich lasse mir die Papiere zeigen, ihre Pässe, ja, und einer hat mir sogar seine Arbeitserlaubnis vorgelegt. Allerdings kann ich nicht nachprüfen, ob die Dokumente wirklich echt sind.«
»Und trotzdem vermieten Sie an diese Leute?«
»Ich lasse Sie bei mir wohnen, ja.«
»Obwohl es gesetzwidrig sein könnte?« fragte Brunetti neugierig, aber ohne jeden Tadel in der Stimme.
»Darüber habe ich nicht zu entscheiden«, antwortete Cuzzoni.
»Darf ich Sie trotzdem fragen, warum Sie's tun?«
Cuzzoni zögerte lange und antwortete schließlich mit einer Gegenfrage: »Verraten Sie mir, warum Sie das wissen wollen?«
»Reine Neugier«, versetzte Brunetti.
Da lächelte Cuzzoni, löste seine Finger, legte die Hände auf die Sessellehnen und sagte: »Weil wir zu reich sind und sie zu arm. Und weil ein Freund von mir, der mit ihnen zusammenarbeitet, mir versichert hat, daß die Männer, die bei mir um Unterkunft nachsuchen, anständige Menschen sind, die Hilfe brauchen und verdienen.« Als Brunetti darauf nichts erwiderte, fragte der Juwelier: »Was ist, Signor Brunetti - können Sie das nachvollziehen?«
»Ja, natürlich!« beteuerte Brunetti. »Würden Sie mir trotzdem gestatten, die Wohnungen in Augenschein zu nehmen?«
»Um festzustellen, ob der Ermordete zu den Mietern gehörte?«
»Ja«, sagte Brunetti, und um eventuelle Bedenken zu zerstreuen, fügte er hinzu: »Den Mietern, die jetzt noch dort untergebracht sind, werden dadurch keinerlei Unannehmlichkeiten entstehen.«
Cuzzoni überlegte eine Weile. »Gut, aber woher weiß ich, ob Sie mir die Wahrheit sagen?«
»Fragen Sie Don Alvise«, versetzte Brunetti.
»Ach, sieh da.« Cuzzoni nickte und musterte Brunetti
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