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Brunetti 14 - Blutige Steine

Brunetti 14 - Blutige Steine

Titel: Brunetti 14 - Blutige Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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konnte, rief der Dürre, der vorhin so schroff zurückgewichen war: »Ach, und wir müssen über ihn Bescheid wissen, bloß weil wir auch schwarz sind, ja?« Ungeachtet seines schmächtigen Wuchses hatte er eine noch tiefere Stimme als sein Vorredner, einen volltönenden Baß, der einen Konzertsaal hätte füllen oder ein Theaterpublikum in Bann schlagen können.
    Wie rasch sich doch Ressentiments breitmachten, dachte Brunetti. Wo sollte er sich denn nach dem gewaltsamen Tod eines Afrikaners erkundigen - bei den Chinesen? Allein, er verkniff sich die provokante Frage und wandte sich abermals an den Älteren: »Ich komme zu Ihnen, weil ich dachte, Sie wären vielleicht Arbeitskollegen gewesen oder hätten den Toten zumindest gekannt.«
    Bevor er antwortete, zog der Mann einen Stuhl unter dem Tisch mit der Linoleumplatte hervor - noch ein Relikt aus Brunettis Jugendzeit - und schob ihn dem Commissario hin. Dann deutete er auf einen zweiten Stuhl, und der Mann in der Daunenjacke stellte ihn für Vianello bereit.
    Als beide Platz genommen hatten, gab der Ältere eine Anweisung in seiner Muttersprache, woraufhin einer der Männer zwei Gläser aus einem Schränkchen nahm und mit einem Geschirrtuch polierte, das er aus einer Schublade gezogen hatte. Sodann holte er von einem Bord über dem Tresen eine Flasche Mineralwasser, schraubte den Deckel ab, füllte beide Gläser und stellte sie vor die Besucher auf den Tisch.
    Brunetti dankte ihm, nickte stellvertretend für alle dem Älteren als Kopf und Sprecher der Gruppe zu und trank das halbe Glas leer. Vianello tat es ihm nach. Als Brunetti sein Glas abgestellt hatte, faltete er die Hände auf der Tischkante und blickte den Anführer schweigend an.
    Gut zwei Minuten verstrichen, ohne daß ein Wort gefallen wäre. Endlich räusperte sich der Schwarze. »Sie sagten, Sie sind von der Polizei?«
    »Ja«, bestätigte Brunetti.
    »Und es geht um den Toten?«
    »Ja.«
    »Was wollen Sie wissen?«
    »Ich wüßte gern, wie er heißt und woher er stammt. Ich möchte wissen, wo er gelebt und was er gearbeitet hat, bevor er hierherkam. Und ob einer von Ihnen eine Ahnung hat, wer ihm nach dem Leben trachtete oder warum er getötet wurde.«
    Der Anführer hatte sich den Fragenkatalog ruhig angehört und sagte nach einer kurzen Pause: »Es scheint, Sie wollen alles wissen.«
    »Nein«, wehrte Brunetti freundlich ab. »Alles sicher nicht. Mich interessiert zum Beispiel nicht, auf welchem Wege oder mit was für Papieren er in unser Land gekommen ist - es sei denn, Sie glauben, das könnte etwas mit seinem Tod zu tun haben. Und das gilt auch für Sie und Ihre Leute: Solange es nichts mit dem Tod dieses Mannes zu tun hat, bin ich dienstlich weder daran interessiert, wie und von wo Sie eingereist sind, noch, womit Sie Ihren Lebensunterhalt verdienen.«
    »Dienstlich?« wiederholte der Mann fragend.
    »Ja. Als Polizist, meine ich.«
    »Und als Mensch?«
    »Als Mensch weiß ich so gut wie nichts über Sie. Weder woher Sie stammen oder was Sie zu uns geführt hat noch, wie lange Sie vorhaben zu bleiben. Ich weiß allerdings, daß man Ihnen nachsagt, Sie seien nicht gekommen, um zu stehlen, zu plündern oder Unruhe zu stiften, sondern daß Sie hier sind, um zu arbeiten, falls Sie Arbeit finden können.«
    »Für einen, der nichts weiß, wissen Sie aber sehr viel«, bemerkte der Mann spöttisch.
    »Mag sein«, gab Brunetti zu. »Allerdings sind Sie oder zumindest Kollegen von Ihnen auch schon seit Jahren hier, und mit der Zeit habe ich eben so einiges mitgekriegt.« Ohne den anderen zu Wort kommen zu lassen, fuhr er fort: »Nun weiß ich nicht, wie es bei Ihnen ist, aber hier bei uns werden die meisten Informationen von Mund zu Mund weitergetragen, und mit jeder neuen Wiedergabe wird etwas hinzugefügt oder weggelassen, so daß die Geschichte sich von Mal zu Mal ein wenig verändert. Weshalb man nie sicher sein kann, ob das, was man erfährt oder zu wissen glaubt, auch der Wahrheit entspricht.« Brunetti versuchte an der Miene seines Gegenübers abzulesen, ob der seine lange Rede auch verstanden hatte. »Und weil dem so ist«, schloß er, »bin ich auch nicht sicher, ob das, was ich über Sie und Ihre Freunde zu wissen glaube, stimmt oder nicht.« Brunetti trank sein Glas aus und lehnte dankend ab, als der Mann, der ihm das Wasser gereicht hatte, vortrat und nachschenken wollte.
    Der Anführer wandte sich an seine Leute und fragte etwas in ihrer Sprache. Während er auf Antwort wartete, konzentrierte

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