Brunetti 14 - Blutige Steine
prüfend. Endlich erhob er sich und sagte: »Ich hole Ihnen die Schlüssel.«
11
B runetti war, nachdem er sich von Cuzzoni verabschiedet hatte, zunächst unschlüssig, ob er gleich nach Castello zurückkehren und sich die Unterkünfte ansehen sollte, deren Schlüssel ihm der Juwelier ausgehändigt hatte: insgesamt drei Paar, mit jeweils einem für Eingangs- und Wohnungstür. Den ganzen Weg bis zum Rialto schwankte Brunetti und konnte sich nicht entscheiden. Oben auf der Brücke fegte ein Windstoß, der geradewegs aus Sibirien zu kommen schien und es ebenso tückisch wie zielsicher auf ihn abgesehen hatte, so ungestüm über ihn hinweg, daß er für einen Moment den Halt verlor. Das ungemütliche Wetter hätte eine gute Ausrede dafür abgegeben, den Gang nach Castello zu verschieben - wäre Brunetti nicht eingefallen, daß er die Afrikaner jetzt, während der Geschäftszeit, am ehesten zu Hause würde antreffen und befragen können.
Also holte er sein telefonino heraus und tippte die Durchwahl des Bereitschaftsraums in der Questura ein. Alvise nahm ab und übergab an Vianello. »Können Sie mich in etwa zwanzig Minuten am Ende der Via Garibaldi treffen?« fragte Brunetti.
»Wo sind Sie denn jetzt, Commissario?«
»Am Rialto, auf dem Weg zum Anleger.«
»Gut, ich werde dasein«, versprach der Inspektor und legte auf.
Doch es fügte sich noch günstiger, denn als Brunetti mit der Linie 82 Richtung Castello fuhr, stieg Vianello in San Zaccaria zu. Wieder steckte der Inspektor in so vielen Lagen warmer, wattierter Kleidung, daß sein Körperumfang aufs Doppelte angewachsen schien. Brunetti unterrichtete ihn in kurzen Zügen über sein Gespräch mit Cuzzoni und gestand, daß er die Afrikaner lieber nicht allein aufsuchen wollte.
»Haben Sie etwa Angst vor ihnen?« fragte Vianello.
»Nicht doch, eher umgekehrt.«
»Und Sie glauben, dagegen hilft Verstärkung?« warf Vianello ein.
»Gegen ihre Angst nicht, aber gegen das, wozu die sie verleiten könnte.«
»Sie meinen abhauen?« Skeptisch tätschelte Vianello mit den behandschuhten Händen seinen Bauch, um zu demonstrieren, wie nutzlos er bei der Verfolgung wesentlich jüngerer und vermutlich auch sehr viel schlankerer Ausreißer wäre.
Brunetti mußte lächeln. »Nein, nein, darum geht es nicht.« Wie sollte er Vianello begreiflich machen, daß er sich von seiner Anwesenheit die gleiche beruhigende Wirkung auf die Afrikaner versprach, die sich schon so oft bei Zeugenvernehmungen bewährt hatte. Und daß auch er selbst sich in seiner Begleitung eher gewappnet fühlte, einer ungewissen Anzahl junger Männer entgegenzutreten - zumeist illegale Einwanderer und Schwarzarbeiter -, die unvermutet in eine Morduntersuchung hineingezogen wurden.
An den Giardini stiegen sie aus und bogen in die Via Garibaldi ein. Auf dem Weg zu Cuzzonis Haus kam Brunetti noch einmal auf seine Unterredung mit dem Juwelier zurück, über den er jedoch nicht mehr verlauten ließ, als daß ihn das Interesse der Polizei an seinen Mietern nicht aus der Ruhe gebracht habe; ja, er sei offenbar fast stolz darauf, den extracomunitari Unterkunft zu gewähren.
»Ein Gutmensch also?« brummte Vianello.
Der abschätzige Unterton stellte Brunetti wieder einmal vor die Frage, wieso dieser Begriff allmählich zum Schimpfwort verkam. War es nicht einfach paradox, daß einer, der Gutes tun wollte, sich heute quasi dafür entschuldigen mußte? »Da gibt es nichts zu spotten«, antwortete er, »und ja, ich glaube, er ist ein guter Mensch.«
Vianello, der genau wie sein Chef dazu neigte, den Charakter einer Person gefühlsmäßig zu beurteilen, sagte nichts mehr.
Brunetti nahm denselben Weg wie am Morgen, blieb aber diesmal vor dem Gebäude auf der linken Seite der engen calle stehen. »Läuten wir und kündigen uns an, oder gehen wir einfach rein?« fragte Vianello.
»Sie sind hier zu Hause«, erwiderte Brunetti. »Da gehört es sich wohl, daß wir um Einlaß bitten.« Von den drei Klingeln neben der Tür wählte er die unterste.
Es dauerte einen Moment, dann meldete sich eine Männerstimme über die Sprechanlage: »Sì?«
»Wir kommen von Signor Cuzzoni«, antwortete Brunetti. Was, wie er fand, so ziemlich der Wahrheit entsprach. Außerdem hatte er zum Beweis die Schlüssel dabei.
Diesmal folgte eine lange Pause. »Und, was wollen Sie?« fragte die Stimme endlich.
»Ich möchte Sie sprechen.«
»Wen?«
»Sie alle.«
Da der Mann drinnen sich nicht die Mühe machte, den Lautsprecher zuzuhalten,
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