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Brunetti 14 - Blutige Steine

Brunetti 14 - Blutige Steine

Titel: Brunetti 14 - Blutige Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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diese Taktik vorübergehend erschwerte, beschuldigten sie einander erst gegenseitig und flüchteten sich dann in irgendwelche Täuschungsmanöver. Zahlen konnten manipuliert, Nationalitäten gefälscht werden, und sobald man das Foto einer verhärmten Mutter mit Kind auf die Titelseite der einschlägigen Blätter lancierte, durfte man sicher sein, daß die Volksseele lange genug in Sentimentalität abglitt, um die gerade anstehende Schiffsladung Flüchtlinge ins Land zu lassen. Danach verloren die Leute dann das Interesse an dem Thema, was den Ministerien gestattete, zu ihrer bequemen Wegguck-Taktik zurückzukehren.
    Doch das erklärte nicht, wieso die Herren vom Außenministerium - wenn Signorina Elettra sagte, die hätten ihre Hand im Spiel, dann war dem so - sich in einen allem Anschein nach unbedeutenden Fall einmischten. Brunetti konnte sich ihr Interesse für den Mord an einem fliegenden Händler nicht erklären. Immerhin gab es Gründe, sich mit der Ermordung eines Mannes zu befassen, der Diamanten im Wert von sechs Millionen Euro besaß.
    »Ich habe schon meine Fühler ausgestreckt«, sagte Signorina Elettra. In den letzten Jahren hatte Brunetti immerhin so viel über ihre Methoden gelernt, daß er sich auf eine solche Ankündigung hin nicht mehr vorstellte, sie säße am Schreibtisch und telefoniere sich die Finger wund oder wandere wie das Mädchen mit den Schwefelhölzchen hilfesuchend von einer Person zur nächsten. Trotzdem war er noch weit davon entfernt, das geheimnisvolle Geflecht ihrer Kontakte zu durchschauen oder die Technik zu begreifen, mit der sie sich Zugang zu vermeintlichen Geheimakten in Regierungsstellen wie Privatarchiven verschaffte. Die Taktik des Wegschauens beherrschte man eben nicht nur in den Ministerien.
    »Und dann möchte Sie noch Bocchese sprechen«, sagte Elettra in seine Gedanken hinein.
    Da das offenbar alles war, was sie ihm mitzuteilen hatte, dankte ihr Brunetti und machte sich auf den Weg ins Labor. Auf der Treppe begegnete er Gravini. Der Sergente hob grüßend die Hand und bedeutete Brunetti gleichzeitig, daß er ihn zu sprechen wünsche.
    »Sie sind fort, Commissario - die ambulanti.« Gravini sagte das so besorgt, als fürchte er, Brunetti könne ihn für das Verschwinden der Afrikaner verantwortlich machen. »Ich habe Muhammad gesprochen - meinen Gewährsmann, Sie wissen schon -, aber er hat von der bewußten Gruppe seit Tagen keinen mehr gesehen. Und ihr Haus, sagt er, sei leer.«
    »Und hat dieser Muhammad eine Vermutung, was aus ihnen geworden sein könnte?«
    »Nein, Commissario. Das habe ich ihn natürlich auch gefragt, aber er wußte nur, daß sie weg sind.« Wieder hob Gravini die Hand, diesmal um sein Bedauern auszudrücken. »Tut mir leid, Commissario.«
    »Schon gut, Gravini.« Wohl wissend, daß alles, was in der Questura gesprochen wurde, früher oder später die Runde machte, fuhr Brunetti fort: »Es spielt ohnehin keine Rolle mehr. Wir sind nämlich von dem Fall abgezogen worden.« Zum Zeichen seines Vertrauens klopfte er Gravini auf die Schulter, bevor er weiter die Treppe hinunterstieg.
    Als Brunetti das Labor betrat, fand er Bocchese über ein Mikroskop gebeugt, dessen langes Rohr er gerade justierte.
    Ein Auge auf das Okular gepreßt, gab der Kriminaltechniker einen Laut von sich, der ein Gruß sein mochte oder vielleicht auch ein Ausdruck der Zufriedenheit über das, was er unter der Linse sah. Brunetti trat zu ihm und warf einen Blick auf den Objekttisch, auf dem er eine der kleinen Glasplatten mit einer Probe oder einem Abstrich erwartete. Doch statt dessen lag dort ein dunkelbraunes Rechteck, halb so groß wie eine Zigarettenschachtel und allem Anschein nach aus Metall.
    »Was ist das?« fragte Brunetti verständnislos.
    Bocchese antwortete nicht gleich, sondern drehte weiter an der Schraube und studierte das Objekt noch ein paar Sekunden. Dann gab er das Okular frei und sagte mit einer einladenden Handbewegung: »Sehen Sie selbst.«
    Er rutschte vom Hocker, und Brunetti nahm seinen Platz ein. Es wäre nicht das erste Mal, daß Bocchese oder auch Dr. Rizzardi ihn Gewebeproben unter dem Mikroskop betrachten ließen, um ihm eine Verletzung oder einen widernatürlichen Eingriff zu demonstrieren.
    Brunetti brachte das rechte Auge an das gewölbte Okular und kniff das linke zu. Was er sah, war ein offenbar riesengroßes, metallisch glänzendes schwarzes Auge mit einem runden Loch in der Mitte anstelle der Iris. Brunetti stützte sich mit den

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