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Brunetti 14 - Blutige Steine

Brunetti 14 - Blutige Steine

Titel: Brunetti 14 - Blutige Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Handflächen auf den Tisch, blinzelte kurz und beugte sich dann wieder über das Mikroskop. Aber er sah immer noch ein Auge, umrahmt von hauchzarten, gestrichelten Linien, die wohl die Wimpern darstellen sollten.
    Ratlos richtete er sich auf. »Was ist das?« wiederholte er.
    Bocchese trat neben ihn und zog das metallisch blinkende Teil unter der Linse hervor. »Hier, schauen Sie sich's an«, sagte er und reichte es Brunetti.
    Dem Gewicht nach war das kleine Rechteck tatsächlich aus Metall; in der fein ziselierten Gravur erkannte Brunetti einen schwertschwingenden Ritter hoch zu Roß, nicht größer als eine Briefmarke. Und doch war die Rüstung von Pferd und Reiter detailgetreu bis ins kleinste ausgeführt. Haupt und Antlitz des Ritters waren unter einem Helm verborgen, das Pferd dagegen trug nur einen Ohrenschutz und eine Maske aus schwerem Damast, die von der Stirn bis zu den Nüstern reichte. Was Brunetti unter dem Mikroskop gesehen hatte, war das Pferdeauge; jetzt, ohne die Vergrößerung, mußte er das Täfelchen ans Licht halten, um das winzige Loch anstelle der Iris erkennen zu können.
    »Woher stammt das?« fragte Brunetti.
    »Ich würde sagen, vom Studio Moderno, und genau das wollte mein Freund von mir bestätigt haben.«
    Brunetti war völlig ratlos. »Welcher Freund, und warum wollte er ein Gutachten von Ihnen?«
    »Er sammelt solche Miniaturen, genau wie ich. Wann immer ihm ein wirklich erlesenes Stück unterkommt, läßt er es von mir prüfen, um sicherzugehen, daß der Anbieter ihm keine Fälschung anzudrehen versucht.«
    »Ja, aber ausgerechnet hier?« Brunetti wies mit ausholender Geste über die Labortische.
    »Wegen des Mikroskops«, versetzte Bocchese und tätschelte den Apparat so liebevoll wie ein anderer vielleicht seinen Lieblingshund. »Es ist um Klassen besser als mein privates zu Hause. Mit dem hier kann ich jedes Detail erkennen, und das ermöglicht mir eine fehlerfreie Bestimmung.«
    »So was sammeln Sie also?« fragte Brunetti und hielt sich die Miniatur dicht vors Gesicht, um sie in allen Einzelheiten zu betrachten. Das Pferd bäumte sich auf und blähte furchtsam, vielleicht auch zornig die Nüstern. Mit der Linken, die in einem gepanzerten Handschuh steckte, straffte der Ritter die Zügel, während er mit der Rechten, in der er die Waffe hielt, so weit wie möglich nach hinten ausholte. Im nächsten Augenblick würden Roß und Reiter vorpreschen, und dann Gnade Gott jedem, der sich ihnen in den Weg stellte.
    Boccheses Antwort war ein Muster an Diskretion. »Ich besitze ein paar Stücke.«
    »Wunderschön.« Behutsam reichte Brunetti die Miniatur zurück. »Ich habe ähnliche schon im Museum gesehen, aber auf die Entfernung entgehen einem die Details, nicht wahr?«
    »Vor allem entgeht einem die Patina«, bestätigte Bocchese, »und wie es sich anfühlt.« Um die haptische Erfahrung zu demonstrieren, wog Bocchese die Bronzeminiatur mit leichten Aufundabbewegungen in der hohlen Hand. »Freut mich, daß Sie einen Blick für diese Schönheit haben.« Dabei wurde Boccheses Gesichtsausdruck so weich wie zuvor bereits seine Stimme.
    Es war ein so vertrauter Moment, daß Brunetti unwillkürlich den Atem anhielt. In all den Jahren, die sie nun schon zusammen arbeiteten, hatte er die Loyalität des Kriminaltechnikers niemals angezweifelt, aber noch nie hatte er bei ihm eine Gefühlsäußerung erlebt, die stärker gewesen wäre als jene kühle Ironie, mit der Bocchese für gewöhnlich auf menschliches Tun und Treiben reagierte. »Danke, daß Sie mir das gezeigt haben«, war alles, was der gerührte Brunetti antworten konnte.
    »Niente, niente«, brummte Bocchese und zog ein Metallkästchen aus der Tasche. Als er es aufklappte, sah Brunetti, daß Boden und Deckel auf der Innenseite mit einem dicken, weichen Stoff gepolstert waren. Bocchese legte die Miniatur hinein, schloß das Kästchen und schob es in die Innentasche seines Jacketts.
    »Elettra hat Ihnen gesagt, daß ich Sie sprechen wollte?«
    »Ja, deswegen bin ich hier.«
    »Dann sehen Sie sich das einmal an.« Bocchese dirigierte Brunetti zu einem Arbeitstisch, auf dem ein Stapel Fotos von Fingerabdrücken lag. Er nahm das oberste zur Hand, flippte den restlichen Packen mit dem Zeigefinger durch und fischte ein zweites heraus. Nachdem er die Einträge auf den Rückseiten überflogen hatte, legte er Brunetti die Aufnahmen vor.
    Sie zeigten Vergrößerungen je eines einzelnen Abdrucks. Wie immer sahen für Brunetti beide gleich aus, aber

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