Brunetti 14 - Blutige Steine
Schreibtisch Platz.
»Warum haben Sie einfach aufgelegt?« fragte Patta streng.
Brunetti zog die Brauen zusammen, als dächte er angestrengt nach. »Aufgelegt? Wann denn?«
Erschöpft gab Patta zurück: »Sie mögen das ja amüsant finden, Commissario, aber ich habe heute morgen keinen Sinn für Ihre Spielchen.« Brunetti hielt es für ratsam zu schweigen, und Patta fuhr fort. »Es geht um diesen Schwarzen. Ich möchte wissen, was Sie unternommen haben.«
»Weniger, als mir lieb gewesen wäre, Vice-Questore.« Eine Antwort, in der sich Lüge und Wahrheit die Waage hielten.
»Könnten Sie etwas deutlicher werden?« fragte Patta.
»Nun, ich habe einmal mit einigen seiner Kollegen gesprochen«, begann Brunetti und verschwieg wohlweislich die Details dieser Begegnung und die Art, wie sie zustande gekommen war. »Aber die Männer haben mir jede Auskunft über ihn verweigert, und seither kann ich sie nicht mehr erreichen.« Und weil er es für einen guten Schachzug hielt, so zu tun, als billige er Patta einiges Interesse an den Vorgängen in seiner Stadt zu, ergänzte er: »Sie haben sicher bemerkt, daß sie nicht mehr da sind.«
»Wer, die vucumprà?« fragte Patta, ohne sich um die politisch korrekte Sprachregelung zu scheren.
»Ja. Sie sind vom Campo Santo Stefano verschwunden.« Daß zumindest einige von ihnen auch ihre Unterkunft geräumt hatten, erwähnte Brunetti nicht. »Wie es scheint«, ergänzte er statt dessen, obwohl er keinen Beweis dafür hatte, »haben sie die Stadt verlassen.«
»Und wo sind sie hin?« fragte Patta.
»Ich habe keine Ahnung, Vice-Questore«, antwortete Brunetti wahrheitsgemäß.
»Was haben Sie sonst noch unternommen?«
Die Lüge ging Brunetti glatt über die Lippen: »Das war alles, was ich tun konnte. Der Autopsiebericht enthielt keine brauchbaren Hinweise.« Letzteres durfte er guten Gewissens behaupten: Rizzardis Dokumentation der Foltermale hatte er erst nach dem offiziellen Obduktionsbericht bekommen, der im übrigen zu diesem Zeitpunkt bereits - Brunetti erinnerte sich unwillkürlich einer Wendung, die er von spanischen Kollegen aufgeschnappt hatte - verschwunden gegangen war. »Aber alles deutet darauf hin, daß unser Mordopfer ein Senegalese war, der sich irgendwie mit den falschen Leuten angelegt hat und dann nicht die Geistesgegenwart besaß, rechtzeitig die Stadt zu verlassen.«
»Das haben Sie doch hoffentlich an die Ermittler des Innenministeriums weitergeleitet«, sagte Patta.
Brunetti war es leid zu lügen; andererseits wußte er auch, daß er, wenn er sich weiterhin passiv verhielt, nur Pattas Argwohn schüren würde. »Dazu sah ich keine Veranlassung, Vice-Questore. Die Herrschaften scheinen durchaus imstande, sich die nötigen Informationen auch ohne meine Hilfe zu beschaffen.«
»Das ist ihre Aufgabe, Commissario. Vergessen Sie das nicht.«
Jetzt platzte Brunetti der Kragen. »Es ist auch die meine«, konterte er erbittert.
Patta lief rot an. Wütend stach er mit dem Finger nach Brunetti. »Ihre Aufgabe ist es, sich an die Anweisungen zu halten und die Entscheidungen Ihrer Vorgesetzten nicht in Zweifel zu ziehen.« Zum Nachdruck schlug er mit der flachen Hand so heftig auf die Tischplatte, daß es im ganzen Raum widerhallte.
Patta wartete, bis das Echo verklungen war, bevor er weitersprach, und etwas in Brunettis Ausdruck ließ ihn noch eine Sekunde länger zögern. »Ist Ihnen schon einmal der Gedanke gekommen, daß ich über das, worum es hier geht, vielleicht mehr weiß als Sie?«
Angesichts der geringen Kontakte, die Patta zum Personal der Questura und seiner Arbeit unterhielt, erschien Brunetti die Frage zunächst einfach lächerlich. Aber dann fiel ihm ein, daß Patta vielleicht auf die grauen Eminenzen hinter der Questura, ja womöglich die hinter dem Innenministerium anspielte und daß er in dem Fall durchaus recht haben könnte.
»Natürlich habe ich das bedacht«, antwortete er. »Aber ich wüßte nicht, was das für einen Unterschied macht.«
»Den, daß ich weiß, wann gewisse Fälle bei anderen Dienststellen besser aufgehoben sind.« Patta sagte das so umgänglich, als wären er und Brunetti alte Schulkameraden, die sich freundschaftlich über die Weltlage austauschten.
»Das heißt aber noch lange nicht, daß man sie ihnen so ohne weiteres überlassen muß.«
»Sie glauben also, Sie könnten besser beurteilen, wann wir einen Fall aus der Hand geben sollten und wann nicht?« fragte Patta, wieder in seinem gewohnt hochfahrenden
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