Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas
Abschluß ein sensationelles Dessert, etwas, das sie lange nicht mehr gehabt hatten.
Der Kriminalist nahm sich den Rest Bohnen und behielt die Verdächtigen am Tisch im Auge. Was immer hier im Gange war, Frau und Tochter waren beide daran beteiligt. Ständig blinzelten sie einander verstohlen zu, und das Mädchen konnte seine Erregung kaum verbergen. Der Sohn dagegen war offenbar nicht Teil des Komplotts. Mit gesundem Appetit verdrückte er seine Portion Lammbraten, schielte, während er noch eine Scheibe Brot aß, nach der Bohnenschüssel und war sichtlich enttäuscht, daß sein Vater ihm zuvorgekommen war. Die Frau spähte nach dem Teller des Jungen - und huschte da nicht ein Lächeln über ihr Gesicht, als sie ihn leer fand? Der Fahnder senkte den Blick, damit die Observierten keinen Verdacht schöpften. Und um sie vollends zu täuschen, goß er sich ein halbes Glas Tignanello ein und sagte: »Hat köstlich geschmeckt«, als ob die Mahlzeit damit beendet wäre.
Daraufhin warf die Tochter der Frau einen besorgten Blick zu, doch die lächelte ganz entspannt zurück. Nun stand das Mädchen auf, sammelte die Teller ein, trug sie zum Spülbecken und fragte mit dem Rücken zu den anderen: »Hat noch jemand Lust auf Nachtisch?«
Ein Mann, der im eigenen Haus kurzgehalten wurde, hatte selbstverständlich Appetit auf Nachtisch! Doch der gewiefte Kriminalist begnügte sich mit noch einem Schluck Wein und überließ die Antwort dem Jungen.
Nun stand die Frau auf und wandte sich zur Tür der rückwärtigen Terrasse, die nach Norden ging, weshalb sie dort verderbliche Speisen abstellte, die nicht in den Kühlschrank paßten. Aber als sie das Mädchen an der Spüle mit dem Geschirr klappern hörte, rief sie es zu sich, und beide fingen eifrig an zu tuscheln. Dann beobachtete der Kriminalist, wie die Frau zum Geschirrschrank ging und vier flache Schüsselchen herausnahm. Um Himmels willen, bloß keinen Fruchtsalat! Oder gar einen von diesen blöden Brotpuddings.
Der Kriminalist griff nach der Flasche und sah nach, wieviel noch drin war. Am besten, er machte sie ganz leer: Dieser Wein war zu schade, um ihn über Nacht offen stehenzulassen.
Die Frau kam mit vier kleinen Gläschen zurück. Endlich ein Lichtblick! Zu welcher Nachspeise wohl Dessertwein serviert wurde? Aber kaum daß neue Hoffnung aufkeimte, meldete sich gleich wieder die Skepsis zu Wort: Am Ende war das nur ein Täuschungsmanöver, und es gab nichts weiter als Mandelplätzchen? Doch dann kam das Mädchen von der Terrasse herein und trug auf einer Servierplatte ein tief braunes ovales Gebilde vor sich her. Dem Kriminalisten blieb gerade noch Zeit, an Judith und Salome zu denken, bevor ein dreistimmiger Chor seine Befürchtungen zerstreute: »Mousse au chocolat, Mousse au chocolat!« Und aus dem Augenwinkel sah er, wie die Frau eine große Schüssel Schlagsahne aus dem Kühlschrank nahm.
Es war um einiges später, als Brunetti wohlig satt neben der sichtlich zufriedenen Paola auf dem Sofa saß und immer noch stolz war auf die Standhaftigkeit, mit der er erst den Dessertwein und dann den an seiner Statt angebotenen Grappa abgelehnt hatte.
»Heute hat mich Assunta angerufen«, sagte sie und brachte ihn damit in Verlegenheit.
»Welche Assunta?« Brunetti legte die Füße auf den niedrigen Tisch vor dem Sofa.
»Assunta De Cal«, erklärte sie.
»Wieso ruft die dich an?« fragte er. Dann fiel ihm ein, daß die Glasskulpturen, die ihnen so gut gefallen hatten, in der fornace von Assuntas Vater gebrannt worden waren. Ob Paola sich nach weiteren Arbeiten des jungen Künstlers erkundigt hatte?
»Sie sorgt sich um ihren Vater.«
Brunetti war versucht zu fragen, was ihn das anginge, aber er sagte nur: »Inwiefern?«
»Sie meint, er wird immer aggressiver gegen ihren Mann.«
»Tätlich oder verbal?«
»Bislang nur verbal, aber Assunta befürchtet ... Guido, ich glaube, sie hat wirklich Angst, daß ihr Vater Marco etwas antun könnte.«
»Ribetti ist doch mindestens dreißig Jahre jünger als De Cal, nicht wahr?« Als Paola nickte, fuhr Brunetti fort: »Dann kann er sich ja wohl gegen den Alten wehren oder ihm einfach davonlaufen. Das heißt, so wie ich De Cal in Erinnerung habe, bräuchte er nicht einmal zu laufen.«
»Aber darum geht es gar nicht«, widersprach Paola.
»Also um was dann?« fragte er geduldig.
»Assunta hat Angst, daß ihr Vater die Beherrschung verlieren und sich ins Unglück stürzen könnte. Daß er womöglich die Hand gegen Marco erhebt
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