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Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas

Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas

Titel: Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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dabei, als er gesagt hat, was Marco passieren würde, wenn es nach seinen Wünschen ginge.« Eine ausweichende Antwort, doch immerhin ein Anfang.
    »Aber das ist nicht direkt eine Drohung, oder?« fragte er.
    »Nein, eigentlich nicht«, bestätigte sie zu seiner Überraschung. »Ich weiß, was Männer für Sprüche klopfen, und die Arbeiter in den fornaci geben sich besonders hart. Die prahlen ständig damit, daß sie irgendwem das Genick oder die Beine brechen. Aber das ist nur Gerede.«
    »Meinst du, das trifft auch auf deinen Vater zu?« fragte Brunetti.
    »Wenn ich das glaubte, wäre ich nicht hier.« Ihre Stimme klang plötzlich richtig streng, ja fast vorwurfsvoll, als verüble sie es ihm, daß er ihr eine solche Frage stellte oder ihren Besuch womöglich nicht ernst genug nahm.
    »Nein, sicher nicht«, bekräftigte Brunetti. »Demnach hat dein Vater konkrete Drohungen ausgesprochen?« Und als Assunta keine Anstalten machte, darauf zu antworten, forschte er weiter: »Hat Marco dir davon erzählt?« Daß er so ungezwungen Ribettis Vornamen benutzte, geschah in der Hoffnung, die Atmosphäre aufzulockern und Assunta das Gefühl zu geben, sie könne frei von der Leber weg reden.
    »Aber nein! So was würde er nie weitersagen.«
    »Woher weißt du es dann?«
    »Aus unserer Werkstatt«, erklärte sie. »Dort hat man mit angehört, wie er - mein Vater - über Marco herzog.«
    »Wer hat das gehört?«
    »Die Arbeiter.«
    »Und sie haben es dir erzählt?«
    »Ja. Sie und noch ein Bekannter von mir.«
    »Würdest du mir ihre Namen nennen?«
    Diesmal legte sie ihm die Hand auf den Arm und fragte hörbar besorgt: »Bekommen sie dann etwa Unannehmlichkeiten?«
    »Wenn du mir ihre Namen sagst oder wenn ich mit ihnen rede?«
    »Beides.«
    »Das kann ich mir nicht denken. Du hast ja selbst gesagt, was die Männer untereinander für Sprücheklopfer sind und daß meistens nichts dahintersteckt. Aber bevor ich weiß, ob das auch hier zutrifft, muß ich mit den Männern reden, vor denen dein Vater diese Äußerungen getan hat. Das heißt«, fügte er hinzu, »falls sie bereit sind, mit mir zu sprechen.«
    »Das kann ich nicht garantieren.«
    »Ich auch nicht«, versetzte Brunetti mit leise resigniertem Lächeln. »Nicht, bevor ich sie gefragt habe.« Er wartete darauf, daß sie ihm die Namen gab; als das nicht geschah, half er nach: »Was haben dir die Männer denn erzählt?«
    »Zu einem von ihnen hat mein Vater gesagt, daß er Marco umbringen könnte«, gestand Assunta mit bebender Stimme.
    Brunetti verschwendete keine Zeit auf die Belehrung, man dürfe einen solchen Satz nicht aus dem Zusammenhang reißen und bekanntlich mache der Ton die Musik. Zwar lag ihm nichts ferner, als sich zum Verteidiger De Cals aufzuschwingen, aber bei dem kurzen Zusammenstoß mit ihm hatte er doch den Eindruck gewonnen, der Alte neige zu cholerischen Zornesausbrüchen ohne ernstlichen Tatvorsatz.
    »Was noch?«
    »Daß er ihn lieber tot sähe, als ihm die fornace zu überlassen. Der Mann, von dem ich das weiß, sagte aber auch, mein Vater sei zu dem Zeitpunkt betrunken gewesen und habe eigentlich mehr über die Familientradition gesprochen und daß die von keinem Außenseiter zerstört werden dürfe.« Sie sah Brunetti an und versuchte zu lächeln, was jedoch kläglich mißlang. »Für meinen Vater sind alle, die nicht auf Murano geboren wurden, Außenseiter.«
    Um sie aufzuheitern, warf Brunetti ein: »Das kenne ich. Für meinen Vater war jeder, der nicht aus Castello stammte, ein Fremder.«
    Tatsächlich entlockte er ihr damit ein Lächeln, doch sie kam gleich wieder auf ihr Problem zurück. »Aber es ist ganz unsinnig, daß mein Vater sich so aufregt. Marco denkt nicht im Traum daran, den Betrieb zu übernehmen. Sicher, wenn ich von meiner Arbeit rede, hört er zu, aber mir zuliebe. Ihn selbst interessiert die fornace überhaupt nicht.«
    »Und wie kommt dein Vater dann auf seinen Verdacht?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht. Glaub mir, ich weiß es wirklich nicht.«
    Er wartete ein Weilchen und sagte dann: »Assunta, ich würde dir gern versichern, daß Menschen, die von Gewalt reden, keine anwenden, doch leider stimmt das nicht. Meistens ist es zwar so. Aber eben nicht immer. Oftmals wollen sie sich nur Gehör verschaffen und etwas loswerden, das sie quält. Aber ich kenne deinen Vater nicht gut genug, um sagen zu können, ob das auch für ihn gilt.«
    Brunetti wählte seine Worte mit Bedacht; hütete sich vor Wertung oder Kritik.

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