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Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas

Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas

Titel: Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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kann ich nicht anders, ich muß einfach versuchen, ihm zu helfen«, schloß sie und schüttelte den Kopf über die verfahrene Situation.
    »Obwohl Sie wissen, daß er die Stelle nicht bekommt?«
    »Obwohl ich weiß, daß er die Stelle nicht bekommt«, wiederholte sie achselzuckend. »Alles war gut, bis ich seinen wunden Punkt entdeckte - wie sehr er sich nach diesem Posten sehnt -, das machte ihn direkt menschlich. Oder doch beinahe. Ich habe einen Moment lang die Augen geschlossen, und schon war er unter meinem Radar durchgeschlüpft.« Sie bemühte sich sichtlich, diesen trüben Gedanken zu verscheuchen, doch vergebens.
    Brunetti widerstand der Versuchung zu fragen, wie sie denn so sicher sein könne, daß der ViceQuestore keine Chance habe mit seiner Bewerbung. Statt dessen wünschte er ihr einen schönen Abend und wandte sich, als er die Questura verließ, nicht nach rechts, sondern nach links, denn er wollte heute zu Fuß nach Hause gehen.
    Die Feenhand, die seit einer Woche über der Stadt schwebte, wehrte auch weiterhin verläßlich Regen und Kälte ab, ja, zauberte immer noch mildere Temperaturen herbei. Wie von einem geheimen Drang beseelt, schossen allenthalben Pflanzen und Gewächse auf. Im Vorbeigehen sah Brunetti ein paar Weinreben, die sich über einen schmiedeeisernen Zaun rankten, um aus dem Garten, in dem sie gefangengehalten wurden, auf die calle zu entkommen. Ein Hund lief vorüber, ihm auf den Fersen ein zweiter, hündischen Trieben folgend. Auf einer Brüstung saßen, trotz der merklich frischen Abendluft, zwei junge Männer in T-Shirts und Jeans; ein Anblick, der Brunetti wieder zur Vernunft brachte und ihn nötigte, sein Jackett zuzuknöpfen.
    Paola hatte am Morgen etwas von Lamm gesagt, und Brunetti begann nun die vielfältigen Rezepte durchzugehen, nach denen man Lamm zubereiten konnte. Mit Rosmarin und schwarzen Oliven oder mit Rosmarin und feurigem Chilipfeffer. Und wie ging noch mal dieses raffinierte, von dem Erizzo so schwärmte: das für Ragout mit Balsamico und grünen Bohnen? Nicht zu verachten war auch ein schlichter Braten mit Weißwein und Rosmarin - wie kam es eigentlich, daß Lamm so entschieden nach Rosmarin verlangte, mehr als nach jedem anderen Gewürz? Im Geiste immer noch auf den Spuren des Lamms, fand Brunetti sich unversehens auf dem Scheitel der Rialtobrücke wieder. Nach Süden zu fiel sein Blick auf die Ca' Farsetti und die nach wie vor eingerüstete Universitätsfassade unten an der Biegung des Canal Grande. Das Mauerwerk erstrahlte im milden Abendlicht. Seht euch diese Palazzi an, beschwor Brunetti ein unsichtbares, nichtvenezianisches Publikum. Schaut sie euch an und sagt mir, wer so etwas heute noch bauen könnte. Wer wäre imstande, diese mächtigen Marmorblöcke so aufeinanderzutürmen, daß sie sich zum Schluß zu einem Bild von solch spielerischer Anmut fügen?
    Seht sie nur an, fuhr er fort, seht die Residenzen der Manins, der Bembos, der Dandolos oder weiter unten die Familiensitze der Grimanis, der Contarinis und der Trons. Wer wollte angesichts dieser erhabenen Bauten bestreiten, daß wir einmal Großes geschaffen haben.
    Ein Mann, der über die Brücke eilte, stieß mit Brunetti zusammen, entschuldigte sich und hastete weiter. Als Brunetti sich wieder dem Kanalufer zuwandte, sahen die Palazzi fast so aus wie immer, prunkvoll und stattlich, aber der Zauber war verflogen, und jetzt wirkten sie auch ein bißchen renovierungsbedürftig. Brunetti stieg die Stufen auf seiner Seite der Brücke hinunter, und da er sich weder dem abendlichen Gedränge auf dem Markt aussetzen noch zwischen billigen Masken und Plastikgondeln Spießruten laufen mochte, strebte er auf dem kürzesten Weg der riva zu.
    Es gab tatsächlich Lamm, Lammbraten mit Balsamico und grünen Bohnen. Keine Vorspeise und danach nur einen Salat. Das konnte vielerlei bedeuten, und während des Essens nutzte Brunetti sein kriminalistisches Gespür, um die Ursache zu ergründen. Entweder war seine Frau wieder einmal ganz in ihrer Lektüre aufgegangen - namentlich Henry James konnte sie jede Mahlzeit vergessen machen -, oder sie war verstimmt, wofür es jedoch keine Indizien gab. Auf dem Bett im Schlafzimmer stand kein aufgeklappter Koffer, also war nicht zu befürchten, daß sie mit dem Metzger durchbrennen wollte, auch wenn das Lammkarree für die meisten Frauen Anreiz genug gewesen wäre. Hoffnungsvoll und mit wachsender Spannung sah Brunetti dem nächsten Gang entgegen: Vielleicht gab es ja zum

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