Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas
meinte Brunetti. Er sah Vianello unruhig auf seinem Platz hin und her rutschen und fragte: »Sind sie noch da?«
»De Cal zahlt gerade.« Kurz danach sprang Vianello auf und flüsterte hastig: »Ich möchte wissen, wo sie hingehen.«
Vorsichtshalber blieb Brunetti am Tisch sitzen und ließ Vianello allein gehen, auch wenn De Cal ihn von Mestre her wohl kaum wiedererkennen würde - so außer sich, wie der Alte damals gewesen war.
Es dauerte nur ein paar Minuten, bis der Inspektor zurückkam; Brunetti ging ihm zur Tür entgegen, und gemeinsam traten sie ins Freie. »Nun?« fragte er.
»Sie sind runter zum Kanal, von dort nach links auf eine unbefestigte Straße, dann noch mal links und wieder landeinwärts zu ein paar Werksbauten hinter einem Stück Brachland.«
»Hast du dein telefonino dabei?« fragte Brunetti.
Vianello holte sein Handy aus der Jackentasche.
»Warum rufst du nicht diesen Klassenkameraden an, der dir Assuntas Liebesgeschichte erzählt hat, und fragst ihn, wo die Fornace De Cal liegt?«
Vianello klappte das Handy auf, rief die gespeicherte Nummer ab und drückte die Ruftaste. Brunetti hörte ihn nach der Adresse fragen, dann ihren Standort durchgeben und sah zu, wie Vianello sich durch die Wegbeschreibung seines Bekannten nickte, ihm schließlich für die Auskunft dankte und auflegte. »Also De Cals Betrieb ist gleich da unten, am Ende dieses Sträßchens, auf der rechten Seite. Und der von Fasano direkt nebenan.«
»Glaubst du, das ist wichtig für uns?« fragte Brunetti.
Vianello zuckte die Achseln. »Wohl eher nicht. Mich interessiert's eigentlich nur, weil in den Zeitungen stand, daß Fasano plötzlich die Ökologie entdeckt habe, oder vielmehr sein Engagement dafür.«
Brunetti erinnerte sich dunkel, daß er vor ein paar Monaten ebenfalls davon gelesen und ähnlich zynisch reagiert hatte. Aber er fragte nur: »Kommt so ein Gesinnungswandel nicht immer ein bißchen überraschend?« Und überließ es Vianello einzusehen - oder auch nicht -, daß es bei ihm ganz genauso abgelaufen war.
»Doch, schon«, räumte Vianello, wenn auch widerstrebend, ein. »Vielleicht liegt's ja an seinen politischen Ambitionen. Sowie jemand rausläßt, daß er ein öffentliches Amt anstrebt, traue ich ihm nicht mehr über den Weg.«
Brunetti, der zwar auch schon ein paar Schritte in diese Richtung getan, sich dem totalen Zynismus aber noch nicht so weit angenähert hatte, gab zu bedenken: »Wenn ich mich recht erinnere, hat Fasano sich aber nicht selber als Kandidaten ins Spiel gebracht, sondern andere haben für ihn getrommelt.«
»Ja, das mögen Politiker besonders gern: den Beifall des Volkes!«
»Nun mal halblang, Lorenzo«, mahnte Brunetti, der dieses Thema nicht weiter vertiefen mochte. Statt dessen wechselte er zu dem zweiten Anliegen über, dem sein Besuch auf Murano galt. Er berichtete kurz von der Unterredung mit Assunta und sagte, er wolle noch einen der Männer befragen, die De Cals Drohungen gegen Ribetti mit angehört hatten. Man würde sich später in der Questura wieder treffen. Bis zur riva hatten sie denselben Weg, dann ging Vianello zum Anleger von Sacca Serenella, um dort auf die Linie 41 zu warten.
Nach Assuntas Angaben wohnte Paolo Bovo gleich jenseits der Brücke, in der Calle drio i Orti, die Brunetti auch ohne viel Mühe ausfindig machte. Nur das Haus konnte er zunächst nicht entdecken, und als er bis hinunter zur Calle Leonarducci gekommen war, kehrte er um und suchte gründlicher. Diesmal fand er sowohl die Hausnummer als auch Bovos Namen am Klingelbrett. Er läutete, wartete einen Moment und schellte noch einmal. Als über ihm ein Fenster geöffnet wurde, trat er zurück und spähte nach oben. Ein Kind, dessen Alter und Geschlecht aus Brunettis Blickwinkel nicht auszumachen waren, streckte den Kopf aus einem Fenster im zweiten Stock und rief: »Sì?«
»Ich suche deinen Vater«, rief Brunetti zurück.
»Der ist unten in der Bar«, antwortete das Kind mit so heller Stimme, daß sie sowohl einem Mädchen wie einem Jungen vor dem Stimmbruch gehören konnte.
»Und wo?«
Eine kleine Hand reckte sich über den Fensterrahmen und deutete nach links. »Da drüben«, krähte die Stimme. Und das Kind verschwand.
Da jedoch das Fenster offenblieb, rief Brunetti seinen Dank hinauf, bevor er sich wieder auf den Weg zur Calle Leonarducci machte. An der Ecke stieß er auf die Kneipe, deren Fenster bis auf Brusthöhe mit Gardinen verhängt waren, die einst rotweiß kariert das Licht der
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