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Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas

Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas

Titel: Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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immer diese Frau ist: Mir schwant nichts Gutes. Ich habe Scarpa noch nie so wütend gesehen.«
    »Und du hast keinen Anhaltspunkt?« fragte Brunetti noch einmal und dankte dem Barmann, der ihm seinen Kaffee servierte, mit einem Nicken.
    »Nicht den geringsten«, beteuerte Vianello.
    Brunetti rührte Zucker in seine Tasse und trank sie in zwei Schlucken aus. »Hast du diese neuen Verordnungen vom Innenministerium gelesen?« erkundigte er sich.
    »Um die kümmere ich mich nicht mehr.« Vianello nippte an seinem Wein. »Früher habe ich sie noch mit Interesse verfolgt, aber inzwischen lassen sie mich kalt.«
    »Wieso das?«
    »Weil eigentlich nie was Brauchbares drinsteht: bloß Worte, leere Worte, die groß aufgebauscht werden, um darüber hinwegzutäuschen, daß die da oben im Grunde gar nichts erreichen wollen.«
    »Inwiefern?« fragte Brunetti.
    »Na, hat man dich vielleicht schon mal zu einem dieser Chinesen geschickt, um rauszukriegen, woher das Geld stammt, mit dem er sein Lokal gekauft hat?
    Oder mußtest du irgendwann die Arbeitserlaubnis der Angestellten in diesen Lokalen überprüfen? Bist du je angewiesen worden, eine Fabrik zu schließen, die dabei erwischt wurde, wie sie ihre Abfälle in einem Staatsforst entsorgt hat?«
    Was Brunetti beeindruckte, war nicht der Inhalt dieser Fragen - Fragen, die in der Questura herumschwirrten wie Fusseln in einer T-Shirt-Fabrik -, sondern der nüchtern kühle Ton, in dem Vianello sie stellte. »Klingt nicht so, als ob dich das sehr berühren würde«, bemerkte Brunetti.
    »Meinst du diese Frau, nach der Scarpa fahndet?« fragte Vianello. »Nein, juckt mich nicht.«
    Eine ganz schön stattliche Liste von Dingen, die Vianello an diesem Morgen kaltließen. »Also dann, bis nach der Mittagspause«, sagte Brunetti und machte sich auf den Heimweg.
    Auf dem Küchentisch fand er einen Zettel von Paola: Sie müsse sich mit einem ihrer Doktoranden treffen, aber es stünde eine Lasagne im Ofen. Die Kinder kämen nicht zum Essen, und der Salat sei im Kühlschrank, er brauche nur noch Essig und Öl zuzugeben. Brunetti fing schon an, sich zu bemitleiden - wozu tigerte man durch die halbe Stadt, wenn die Familie ausgeflogen war und es nur aufgewärmte Pasta gab, noch dazu wahrscheinlich aus irgend so einem Fertigteig samt diesem widerlichen orangeroten Käse -, da fiel sein Blick auf Paolas letzten Satz: »Hör auf zu schmollen. Die Lasagne ist nach dem Rezept deiner Mutter, das du so gern magst.«
    Wenn er schon auf Gesellschaft verzichten mußte, beschloß Brunetti, sich mit tauglicher Lektüre zu entschädigen. Eine Zeitschrift wäre gut, doch den Espresso von dieser Woche hatte er schon durch. Tageszeitungen nahmen auf dem Tisch zuviel Platz weg. Ein Taschenbuch ließ sich nur gewaltsam offenhalten, um den Preis, daß es dabei aus dem Leim ging und irgendwann die Seiten rausfielen. Kunstbücher waren zu schade, um sie mit Ölflecken zu verschandeln. Am Ende griff Brunetti auf seine Nachttischlektüre zurück, Gibbon, den er wegen seines ausgefeilten rhetorischen Stils in italienischer Übersetzung lesen mußte.
    Er nahm die Lasagne aus dem Ofen und lud sich eine Portion auf den Teller. Dazu noch einen Pinot Grigio, und dann schlug er seinen Gibbon an der markierten Stelle auf, lehnte den Band gegen die beiden Bücher, die Paola auf dem Tisch liegenlassen hatte, und beschwerte ihn rechts mit einem Schneidbrettchen, links mit einem Servierlöffel, damit die Seiten nicht von alleine umblättern konnten. Zufrieden mit dem Arrangement, setzte er sich auf seinen Platz und begann zu essen.
    Alsbald fand Brunetti sich am Hofe des Kaisers Elagabal wieder, eines seiner bevorzugten menschlichen Ungeheuer. Ach, diese Ausschweifungen, die Brutalität, der hemmungslose sittliche Verfall allenthalben! Die Lasagne war mit Schinken und feingeschnittenen Artischockenherzen gefüllt, und die Pastaschichten dazwischen schmeckten wie hausgemacht. Von den Artischocken hätte Brunetti gern mehr gehabt. Da saß er nun zu Tisch mit enthaupteten Senatoren, falschen Ratgebern und Barbaren, die nur ein Ziel kannten: die Zerstörung des Römischen Imperiums. Er nahm einen Schluck Wein und aß noch einen Happen Lasagne.
    Der Kaiser erschien, prächtig herausgeputzt und strahlend wie die leibhaftige Sonne. Alle priesen ihn, seinen Ruhm, seine Huld. Der Hofstaat glänzte in übermäßigem Prunk; eine Gesellschaft, in der nach Gibbons Worten »eine dekadente Verschwendungssucht den Mangel an Eleganz und Geschmack

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