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Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas

Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas

Titel: Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Brunetti zu der Überzeugung gelangt, daß man mit gebührendem Druck fast jeden Menschen dazu bringen konnte, so gut wie alles zu gestehen. Folglich fand er, die entscheidende Frage zum Thema Verhörmethoden sei nicht, wie sehr man dem Delinquenten zusetzen müsse, um ihn geständig zu machen, sondern wie weit der Fragesteller zu gehen bereit war, um das unumgängliche Geständnis zu erlangen.
    Diese düsteren Gedanken begleiteten ihn noch eine ganze Weile. Um davon loszukommen, verließ er endlich sein Büro und begab sich auf die Suche nach Vianello.
    Auf der Treppe kam ihm Tenente Scarpa entgegen. Statt einer Begrüßung nickten beide nur stumm, doch plötzlich konnte Brunetti nicht mehr weiter, weil Scarpa ihm mit einem raschen Ausfallschritt nach links den Weg versperrte.
    »Ja, Tenente?«
    »Diese Ungarin«, begann Scarpa ohne jede Einleitung, »diese Mary Dox, geht die auf Ihr Konto?«
    »Verzeihung, aber worum handelt es sich, Tenente?«
    Scarpa schwenkte einen Aktenordner, als könne dessen Anblick Brunetti auf die Sprünge helfen. »Ist das Ihr Fall?« fragte er noch einmal mit ausdrucksloser Stimme.
    »Tut mir leid, aber ich weiß nicht, wovon Sie sprechen«, antwortete Brunetti.
    Wie ein Auktionator bei der Versteigerung hielt Scarpa die Akte in die Höhe und fragte: »Sie wissen also nicht, wovon ich rede? Kennen womöglich gar keine Mary Dox?«
    »Sie sagen es.«
    Ganz so wie zuvor Assunta in ihrer Verzweiflung über männliche Borniertheit hob jetzt Scarpa beide Hände in die Höhe, bevor er nach rechts auswich und ohne ein weiteres Wort seinen Weg fortsetzte.
    Als Brunetti in den Bereitschaftsraum kam, traf er dort statt Vianello nur Pucetti an, der an seinem Schreibtisch über einer Akte brütete, die aufs Haar dem Dossier glich, das Brunetti eben erst zu Ende gelesen hatte. Der junge Beamte war so in seine Lektüre vertieft, daß er Brunetti gar nicht kommen hörte.
    »Pucetti«, sprach Brunetti ihn an, als er schon vor dem Schreibtisch stand, »haben Sie Vianello gesehen?«
    Sowie er seinen Namen hörte, blickte Pucetti auf, aber es dauerte noch ein paar Sekunden, bis er sich von seinem Text losgerissen hatte, den Stuhl zurückstieß und aufsprang. »Entschuldigen Sie, Commissario, was haben Sie gesagt?« Das Bündel Aktenseiten in seiner Rechten hinderte ihn am Salutieren. Zum Ausgleich nahm er besonders stramm Haltung an.
    »Vianello«, wiederholte Brunetti lächelnd. »Ich suche ihn.«
    Er las Pucetti an den Augen ab, welche Anstrengung es ihn kostete, sich darauf zu besinnen, wer Vianello war. »Vorhin ist er noch hier gewesen.« Verblüfft schüttelte der junge Beamte den Kopf; er hatte offenbar immer noch Mühe, sich zurechtzufinden. »Aber inzwischen muß er wohl weggegangen sein.«
    Brunetti ließ fast eine volle Minute verstreichen, während er dabei zusah, wie Pucetti allmählich aus jener Welt auftauchte, in der verschärfte Verhörmethoden mit kühler Objektivität diskutiert wurden -falls dies denn wirklich das Thema war, das den jungen Mann so in Bann geschlagen hatte.
    Als er sicher sein konnte, daß Pucetti wieder ganz im Hier und Jetzt angekommen war, sagte Brunetti: »Tenente Scarpa hat mich eben nach einer Akte gefragt, eine Ungarin namens Mary Dox betreffend. Haben Sie eine Ahnung, worum es da geht?«
    Pucettis Miene hellte sich auf: Er war offenbar im Bilde. »Der Tenente war heute früh schon bei uns, Commissario, und hat sich nach dieser Frau erkundigt. Er wollte wissen, ob von uns jemand mit ihrem Fall betraut sei.«
    »Und?«
    »Und keiner wußte was.«
    Da ihm bekannt war, wie die uniformierte Truppe zu Scarpa stand, fragte Brunetti: »Wußte niemand was, oder hat sich nur keiner gemeldet?«
    »Nein, nein, Commissario, wir haben darüber gesprochen, als der Tenente weg war, und keiner konnte sich erklären, worum es ging.«
    »Und ist Vianello jetzt in dieser Sache unterwegs?«
    »Das glaube ich nicht. Er hatte ja auch keine Ahnung. Ich schätze, er ist nur einen Kaffee trinken gegangen.«
    Brunetti bedankte sich und bedeutete Pucetti, er könne mit seiner Lektüre fortfahren. Doch der hörte ihn schon nicht mehr.
    An der Bar beim Ponte dei Greci stand Vianello an der Theke, vor sich ein Glas Wein, und blätterte in einer Tageszeitung.
    »Was wollte denn Scarpa von euch?« fragte Brunetti, nachdem er sich einen Kaffee bestellt hatte.
    Vianello faltete die Zeitung zusammen und legte sie zur Seite. »Keine Ahnung«, antwortete er. »Aber worum es auch gehen mag oder wer

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