Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas
wandten sich der Halle zu. Brunetti gebot ihnen mit einem Handzeichen Einhalt und sagte, an Bocchese gewandt: »Falls ihr Masken dabeihabt, setzt die lieber auf.« Die Männer stellten abermals ihre Gerätschaften ab, und einer kramte so lange herum, bis er einen Stapel in Zellophan verpackter Atemmasken fand und verteilte. Auch Brunetti ließ sich eine geben, riß die sterile Hülle auf und streifte sich die Gummibänder über die Ohren. Als er die Maske über Nase und Mund zurechtgerückt hatte, reichte ihm derselbe Kollege noch ein Paar Einweghandschuhe.
Einer aus dem Team wuchtete einen langen Plastiksack auf die Schulter: Scheinwerfer und Stative. Er ging als erster hinein und suchte nach Steckdosen. Ohne jemanden direkt anzusprechen, sagte Brunetti: »Er liegt dort hinten vor dem freistehenden Ofen.« Dann folgte er den Technikern in die Halle.
Seine Augen hatten sich kaum an die schwachen Lichtverhältnisse gewöhnt, als er vom Eingang her seinen Namen rufen hörte. Er drehte sich um und sah Vianello am Tor stehen, mit Handschuhen, aber ohne Maske. Brunetti machte dem Inspektor ein Zeichen, er solle dort warten, und holte auch für ihn eine Atemmaske. »Die wirst du brauchen«, sagte er und reichte sie Vianello.
Durch die Anwesenheit des Inspektors ermutigt, schritt Brunetti Seite an Seite mit Vianello auf den dritten Ofen zu; in ein paar Metern Entfernung machten sie halt und warteten, bis die Fotografen fertig waren. Brunetti warf einen Blick auf die Meßinstrumente und sah, daß die Temperatur in Forno III auf 1348 Grad gestiegen war. Wie hoch sie außerhalb des Gehäuses und unmittelbar vor dem Ofen sein mochte, konnte er nicht einmal schätzen.
Die Fotografen hatten inzwischen den Fundort mit etlichen Aufnahmen dokumentiert und schickten sich nun an, den Toten von allen Seiten abzulichten.
»Wer von den Gerichtsmedizinern kommt?« fragte Brunetti.
»Venturi«, antwortete Vianello hörbar wenig angetan.
Rechts von Brunetti waren in einem Gestell die größeren Werkzeuge der Glasbläser aufgereiht: Stangen und Pfeifen aller Längen und Stärken. Auf dem Tisch des maestro lagen Scheren, Zangen, Kellen und Hohlformen: Keins der Geräte wies Blutspuren auf. An der Wand hingen Poster von nackten Frauen mit riesigen Brüsten, die lüsterne Blicke auf den Toten warfen und auf die Männer, die sich schweigend um ihn zu schaffen machten.
Brunetti trat zögernd näher und betrachtete Tassinis bärtiges Gesicht. Dann wandte er sich ab; er wollte nicht mehr als unbedingt nötig von dem entstellten Leichnam sehen. Aber das Blitzlichtgewitter der Fotografen zog seinen Blick doch wieder an, und er bemerkte die Eisenstange, die unter dem Rumpf des Toten eingeklemmt war.
Ein Geräusch hinter ihm ließ ihn herumfahren, und er sah Dottor Venturi, der gerade seine Ledermappe mitten zwischen die Utensilien auf der Werkbank des maestro stellte. Eine Zange fiel klirrend zu Boden. Brunetti bückte sich, hob sie auf und legte sie wortlos an ihren Platz zurück.
Der Gerichtsmediziner klappte seine Tasche auf, holte ein Paar OP-Handschuhe heraus und streifte sie über. Er warf einen Blick auf den Toten, schnupperte und verzog angewidert das Gesicht. Brunetti bemerkte, daß Venturis Mantelaufschläge handvernäht waren. In seinen schwarzen Schuhen spiegelte sich der Feuerschein des Ofens.
»Ist er das?« fragte der junge Arzt und zeigte auf den Toten. Als ihm niemand antwortete, langte er hinter sich in seine Tasche, zog eine Gazemaske heraus und ein Fläschchen 4711, aus dem er die Maske reichlich besprühte. Dann schraubte er den Flakon wieder zu, steckte ihn an seinen Platz zurück, zog die Maske vors Gesicht und befestigte sie mit einem Gummiband am Hinterkopf.
Über der Stuhllehne des maestro hing ein zusammengefalteter dunkelgrüner Pullover. Den schnappte sich Venturi, warf ihn neben der Leiche auf den Boden, krempelte sein linkes Hosenbein hoch und achtete, als er sich neben der Leiche niederließ, penibel darauf, daß sein Knie nur den Pullover berührte. Er griff nach dem Handgelenk des Toten, hielt es ein paar Sekunden lang fest und ließ es wieder zu Boden gleiten. »Noch nicht ganz durch, würde ich sagen«, murmelte er, aber nicht im Flüsterton, sondern in etwa der Lautstärke, in der ein Schüler sich während des Unterrichts über den Lehrer lustig machen würde.
Venturi erhob sich wieder, streifte die Handschuhe ab und warf sie zu seiner Tasche auf die Werkbank des maestro. »Der Mann ist tot«,
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