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Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas

Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas

Titel: Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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dem Tisch führte eine Tür in ein kleines Kabuff mit Stuhl und Feldbett. Auf dem Stuhl lag, aufgeschlagen und wie in großer Eile hingeworfen, eine Ausgabe des gestrigen Gazzettino. Am Kopfende des Bettes lehnte hochkant ein Kissen, in dem noch der Abdruck eines Kopfes erkennbar war.
    Brunetti faßte die Zeitung an den oberen Ecken und trug sie aufs Bett hinüber. Darunter kamen zwei Bücher zum Vorschein: Industriekrankheiten. Der Fluch des neuen Jahrtausends und Dantes Inferno, eine eingebundene Schulausgabe, die schon ganz zerlesen war. Brunetti ließ das andere Buch zunächst unbeachtet und griff als erstes nach Dante. Die Seiten waren an den Ecken vielfach eingerissen oder vom häufigen Gebrauch verschmutzt, und beim Blättern stieß er auf zahlreiche Randnotizen. Auf dem Titelblatt hatte Tassini mit roter Tinte seinen Namen eingetragen, eine gekünstelte Signatur mit übertriebenen Schnörkeln, die sich ausufernd um den letzten i-Punkt rankten. Die Ausgabe war über zwanzig Jahre alt. Beim zweiten Durchgang stellte Brunetti fest, daß es sowohl rote wie schwarze Anmerkungen gab, wobei die in schwarzer Schrift zunehmend kleiner und unkonzentrierter erschienen.
    Vianello war an ein kleines Fenster hinter dem Kopfende des Bettes getreten, durch das man genau in den grellen Feuerschlund der Schmelzöfen sehen konnte. »Was ist das?« fragte er und deutete auf das Buch in Brunettis Händen.
    »L'Inferno.«
    »Wie passend«, sagte der Inspektor.

16
    B runetti nahm Tassinis Bücher mit, als er und Vianello die winzige Kammer verließen und in die Werkstatt zurückkehrten. Da eins ein Paperback und das andere ein kleinformatiges Schulbuch war, paßten sie leicht in seine Jackentaschen. Er hatte sie gerade verstaut, als De Cal durchs Tor geschossen kam und direkt auf ihn zusteuerte.
    »Das Gas für die Öfen kostet mich zweitausend Euro im Monat, verdammt noch mal!« rief er, als sei dies das Fazit einer langen Erklärung, der Brunetti sich halsstarrig widersetzt hätte. »Zweitausend Euro! Wer entschädigt mich für den Verlust, wenn jetzt einen ganzen Tag die Produktion ausfällt? Diese Prachtstücke kann man nämlich nicht an- und abstellen wie ein Radio.« De Cal wies verzweifelt auf die drei Öfen, die jetzt alle offenstanden.
    »Dazu kommt noch der Lohn für die Arbeiter. Den zahle ich jetzt auch umsonst. Ihre Leute sind längst weg, und Sie stehen hier bloß rum und drehen Däumchen. Genau wie meine Belegschaft, nur daß ich die dafür bezahlen muß.«
    Vianello und Brunetti traten bis dicht vor ihn hin. De Cal zeterte unbeirrt weiter. »Ich hab Ihre Leute an Bord gehen sehen!« Er deutete in Richtung des Kanals. »Die sind schon auf dem Weg nach Venedig. Und ich will meinen Betrieb wieder in Gang bringen und die Männer an die Arbeit schicken. Ich bezahle sie nicht dafür, daß sie sich die Beine in den Bauch stehen und große Reden schwingen, während das Gas für nichts und wieder nichts brennt.«
    Brunetti konnte sich nicht mehr zurückhalten. »Hier ist heute früh ein Mensch ums Leben gekommen.«
    De Cal hätte offenbar am liebsten ausgespuckt. »Heute früh. Gestern. Vor zwei Tagen: Was macht das für einen Unterschied? Der Mann ist nicht mehr da, basta!« De Cal konnte seine Stimme kaum noch beherrschen. »Es kostet mich einen Haufen Geld«, schrie er und betonte das letzte Wort besonders heftig, »die Öfen in Gang zu halten. Und meine Belegschaft bezahle ich, egal, ob sie arbeiten oder draußen rumlungern und sich einreden, Tassini wäre eigentlich doch ein netter Kerl gewesen.« De Cal rückte noch naher und starrte erst Brunetti, dann Vianello ins Gesicht, als forsche er nach dem Grund, warum die beiden etwas so Simples nicht begreifen wollten. »Ich verliere stündlich Geld!«
    Brunetti und Vianello vermieden es, einander anzusehen. Endlich sagte Brunetti: »Ihre Arbeiter können jetzt wieder reinkommen, Signor De Cal.«
    Ohne ein Wort des Dankes fuhr der Alte herum und stapfte hinaus. Von drinnen hörten sie, wie er einen der Männer anwies, den Rest der Belegschaft zusammenzutrommeln. Zurück an die Arbeit. Business as usual. Das Leben geht weiter.
    Plötzlich fiel Brunetti ein, was als nächstes zu tun war, und er erschrak bei dem Gedanken, daß er es so lange erfolgreich verdrängt hatte. Tassinis Frau, seine Familie: Jemand mußte ihnen sagen, daß ihr Leben nie mehr so sein würde wie zuvor. Daß ein furchtbares Schicksal sie getroffen und alles zerstört habe. Brunetti widerstand dem Impuls,

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