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Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas

Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas

Titel: Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Scharfblick.
    »Ich hab ihn auf dein Bett gelegt«, sagte Raffi und wandte sich wieder seinem Lehrstoff zu.
    »Ah, lieb von dir«, murmelte Brunetti. »Danke.«
    Er trug ihn zum Abendessen und erntete Komplimente von Paola und Chiara, obwohl seine Tochter sich beschwerte, daß Männer immer die schicksten Pullover und Jacken abbekämen, während Mädchen dauernd pinkfarbene Angora-Sets und ähnliche Scheußlichkeiten tragen müßten. Zum Ausgleich durften Mädchen jedoch anscheinend als erste die gefüllten Artischockenböden probieren und ebenso die Schweinerippchen mit Polenta. Ohne sich darum zu scheren, daß der Wein noch gar nicht zur Ruhe gekommen war, hatte Paola den Sangiovese aufgemacht, und Brunetti fand nichts daran auszusetzen.
    Wegen der zwei Gebäckstücke verzichtete er auf die gebratene Birne zum Nachtisch. Sehr zum Erstaunen seiner Familie, die sich zwar nicht nach seinem Befinden erkundigte, aber Paola fragte doch besonders fürsorglich, ob er wohl einen Grappa möge. Vielleicht zum Kaffee im Wohnzimmer, während die Kinder den Abwasch besorgten?
    Sie folgte ihm wenig später mit einem Tablett, auf dem zwei Kaffeetassen standen und zwei großzügig eingeschenkte Gläser Grappa. Paola stellte alles auf den Tisch und setzte sich neben ihn. »Warum hast du vorhin geduscht?« fragte sie.
    Er löffelte Zucker in seinen Kaffee und rührte um. »Um mich aufzuwärmen. Ich war spazieren, und es ist abends noch ziemlich kalt draußen.«
    »Und? Hat's geholfen?«
    »Hmhm«, murmelte Brunetti, trank seinen Kaffee aus und langte nach dem Grappa.
    Auch Paola vertauschte ihre Tasse mit dem Glas und lehnte sich im Sofa zurück. »Schöner Tag für einen Spaziergang.«
    Wieder brachte Brunetti nur ein »Hmhm« zustande. Aber nach einer Pause sagte er: »Ich erzähl's dir ein andermal, einverstanden?«
    Paola rückte unmerklich näher, bis ihre Schultern sich berührten. »Ja, natürlich.«
    »Sag mal, du bist doch gut in Kreuzworträtseln und so, nicht wahr?«
    »Ja, schon.«
    »Ich bin da nämlich auf etwas gestoßen und möchte dich bitten, dir das mal anzuschauen.« Brunetti erhob sich und ging, ohne ihre Antwort abzuwarten, in den Flur, um Tassinis Notizen aus seiner Jackentasche zu holen.
    Zurück im Wohnzimmer faltete er die drei Blätter auseinander und reichte sie Paola. »Das stammt von einem Toten, der auf Murano gearbeitet hat. Ich glaube, er wurde ermordet.«
    Paola hielt die Seiten auf Armeslänge von sich weg. Brunetti stand noch einmal auf und holte ihr die Lesebrille aus dem Arbeitszimmer. Nachdem Paola vergeblich versucht hatte, die Blätter nebeneinanderzuhalten, schob sie, um Platz zu schaffen, das Tablett beiseite und breitete die Notizen auf dem Tisch aus.
    »Ich dachte schon an Bankleitzahlen«, erklärte Brunetti. »Doch das ergibt keinen Sinn. Der Mann hatte kein Geld. Und ich glaube, es interessierte ihn auch nicht besonders.«
    Paola neigte sich wieder aufmerksam über die drei Blätter. »Daten hast du auch ausgeschlossen, oder?« fragte sie, und er murmelte zustimmend.
    Nach einer Weile stellte sie fest: »Die erste Ziffer auf der ersten Seite ist fast doppelt so hoch wie die zweite.«
    »Und, kannst du damit was anfangen?«
    »Nein.« Paola schüttelte rasch den Kopf. Zu den Zahlen auf dem zweiten und dritten Blatt sagte sie gar nichts.
    Schweigend hockten sie weitere zehn Minuten da und konzentrierten sich erfolglos auf Ziffern und Zeichen. So fand sie Chiara, die auf dem Weg zurück zu ihren Lateinaufgaben durchs Wohnzimmer kam. Sie ließ sich neben Brunetti auf die Sofalehne plumpsen und fragte: »Was habt ihr da?«
    »Rätsel«, antwortete Brunetti. »Aber wir kommen beide nicht auf die Lösung.«
    »Du meinst die Koordinaten?« Chiara zeigte auf die Zahlen auf dem dritten Blatt.
    »Koordinaten?« wiederholte Brunetti verblüfft.
    »Klar«, warf Chiara lässig hin. »Was denn sonst? Hier«, sagte sie und tippte auf das Gradzeichen nach der ersten Ziffer. »Grad, Minute, Sekunde.« Sie zog das Blatt näher heran und fuhr fort: »Das ist die geographische Breite - die kommt immer zuerst -, und hier hast du die Länge.« Nachdem sie die Zahlen noch einmal verglichen hatte, meinte sie: »Die drei Positionen, die da angegeben sind, liegen ziemlich nahe beieinander. Die zweite südöstlich und die dritte südwestlich von der ersten. Wollt ihr wissen, wo das ist?«
    »Wo was ist?« fragte Brunetti, immer noch leicht benommen.
    »Na, der Ort, der diese Koordinaten hat.« Chiara klopfte mit

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