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Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas

Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas

Titel: Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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ein.
    »Hat er das wirklich alles geglaubt? Daß er sich mit Schadstoffen vergiftet und deshalb ein behindertes Kind gezeugt hätte?« fragte Paola.
    »Ich glaube schon, ja.«
    »Trotz des medizinischen Befundes?«
    Brunetti zuckte mit den Schultern, um anzudeuten, wie wenig jemand, der den Ärzten mißtraute, von solchen Gutachten hielt. »Nach seiner Vorstellung ist es eben so gewesen.«
    »Aber wie hätte er sich denn vergiften können?« fragte sie. »Ja, wenn er auf Marghera gearbeitet hätte, aber ich habe noch nie gehört, daß Murano gefährdet sei oder vielmehr die Leute, die dort beschäftigt sind.«
    Brunetti rief sich seine Unterredung mit Tassini ins Gedächtnis. »Er sprach von einer Verschwörung gegen ihn. Glaubte, die wahren Testergebnisse würden ihm vorenthalten, damit es keine ausreichenden genetischen Beweismittel gäbe.« Als er die Skepsis in Paolas Augen las, fügte er hinzu: »Tassini war fest davon überzeugt.«
    »Aber wovon eigentlich?« wollte Paola wissen.
    Brunetti spreizte in einer hilflosen Gebärde die Hände. »Das habe ich leider auch nicht aus ihm rausgekriegt: weder, was ihm seiner Meinung nach fehlte, noch wie es sich auf das Kind hätte übertragen können. Alles, was er mir verraten hat, war, daß De Cal nicht als einziger an dem, was sich da abspielte, beteiligt sei.« Und bevor Paola nachhaken konnte, ergänzte er bedauernd: »Nein, um was es dabei ging, hat er mir nicht gesagt.«
    »Meinst du, er war verrückt?« fragte Paola mitleidig.
    »Auf dem Gebiet kenne ich mich nicht aus«, antwortete Brunetti nach einigem Überlegen. »Der Mann war von etwas überzeugt, wofür es anscheinend keine Indizien gibt und das er folglich auch nicht beweisen konnte. Aber ich würde das noch nicht als verrückt bezeichnen.«
    Er war neugierig, ob Paola ihn darauf hinweisen würde, daß er soeben das Wesen des religiösen Glaubens beschrieben habe. Doch sie war offenbar heute abend nicht auf billige Pointen aus und sagte nur: »Immerhin hat er fest genug daran geglaubt, um diese Zahlen aufzuschreiben, was immer auch dahintersteckt.«
    »Ja«, räumte Brunetti ein. »Aber bloß, weil er ein paar Zahlen notiert hat, braucht er noch lange nicht richtig gelegen zu haben mit seinem Verdacht.«
    »Was ist denn eigentlich mit den anderen Zahlen?« Paola klaubte die beiden restlichen Blätter vom Boden und legte sie auf den Tisch.
    »Keine Ahnung«, erwiderte Brunetti. »Ich habe den ganzen Nachmittag draufgestarrt, ohne daß mir irgendwas dazu eingefallen wäre.«
    »Kein Anhaltspunkt?« fragte sie. »War denn sonst nichts in der Kammer?«
    »Nein«, sagte Brunetti. Doch dann fielen ihm die Bücher ein. »Nichts außer Industriekrankheiten und Dante.«
    »Sehr witzig, Guido!«
    Brunetti erhob sich und ging abermals hinaus zur Garderobe, wo seine Jacke hing; diesmal brachte er die beiden Bücher mit.
    Für die Industriekrankheiten hatte Paola ebensowenig Verwendung wie er, nur daß sie das Buch auf den Boden warf statt auf den Tisch. »Dante«, sagte sie andächtig, als Brunetti ihr den Band reichte. Erst schlug sie die Titelseite auf, dann das Impressum, bevor sie sich dem Text zuwandte und ihn etwa von der Mitte bis zum Ende durchblätterte.
    »Das ist eine Schulausgabe, nicht wahr?« bemerkte sie. »War dieser Tassini belesen?«
    »Zumindest hatte er eine Menge Bücher zu Hause.«
    »Was für welche?« Wie Brunetti glaubte auch Paola, daß die Persönlichkeit eines Menschen sich in seiner Lektüre widerspiegelte.
    »Das kann ich dir nicht sagen«, antwortete er. »Ich bin nie so nahe an die Wand mit dem Bücherregal herangekommen, daß ich die Titel hätte lesen können.« Bei seiner Unterredung mit Tassinis Schwiegermutter hatte er sich gar nicht bewußt dafür interessiert; trotzdem sah er jetzt die Buchreihen vor sich: darunter die goldgeprägten Rücken jener Sammlung von Romanklassikern, die auch Paola in ihrem Arbeitszimmer stehen hatte, sowie einige Gedichtbände.
    »Doch, ich glaube, er hat viel gelesen«, entschied Brunetti endlich.
    Aber da hatte Paola sich schon in Dante vertieft. Er beobachtete sie ein paar Minuten, bis sie beim Umblättern aufsah und mit vor Staunen geweiteten Augen fragte:
    »Warum vergesse ich nur ein ums andere Mal, wie großartig er ist?«
    Brunetti packte die Karten zusammen und legte den Stapel neben dem Tisch auf den Boden.
    Mit einemmal spürte er, wie die geballte Last dieses ereignisreichen Tages ihn niederdrückte. »Ich glaube, ich muß mich jetzt

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