Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen

Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen

Titel: Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
Vom Netzwerk:
Krankenakten.«
    »Ach, und was ist damit?« fragte sie kühl zurück.
    »Daraus geht hervor, daß Sie vor zwei Monaten eine Abtreibung hatten.«
    »Stimmt, ja.«
    »Daniela«, begann Brunetti, der sich wie ein Unhold vorkam, »was ich wissen möchte, ist, ob jemand ...«
    »Davon weiß?« führte sie seinen Satz zu Ende, und ihre Stimme sprühte vor Zorn. »Jemand außer diesem schleimigen kleinen Apotheker?«
    Brunetti fühlte, wie sich seine Nackenhaare sträubten. Er mußte sich anstrengen, damit ihm seine Stimme gehorchte. »Er hat Sie angerufen?«
    »Nicht mich, sondern Lucas Mutter. Die hat er angerufen!« schrillte es durch die Leitung. Daniela hatte alle Selbstbeherrschung verloren. »Er hat sie angerufen und sich erkundigt, ob sie wisse, was ihre Schwiegertochter getan habe. Daß sie in der Klinik gewesen sei und ein Leben zerstört habe. Ob sie wisse, daß ihre Schwiegertochter schwanger war.«
    Brunettis Finger umklammerten den Hörer. Daniela fing an zu weinen, und wohl über eine Minute lauschte er hilflos ihren Schluchzern.
    Endlich raffte er sich auf und rief: »Daniela, Daniela! Hören Sie mich? Kann ich irgend etwas ...« Die einzige Reaktion war ihr herzzerreißendes, krampfhaftes Weinen. Brunetti erwog, Paola anzurufen und sie um einen Besuch bei Daniela zu bitten. Aber nein, er wollte seine Frau da nicht hineinziehen; sie sollte nicht wissen, daß er dieses Telefonat geführt und was er getan hatte.
    Nach einer Weile wurde Daniela ruhiger, und Brunetti hörte sie erst schniefen, dann sich die Nase putzen, ein seltsam tröstliches Geräusch. Endlich drang auch ihre Stimme wieder an sein Ohr. »Es war ...«
    »Ich will es gar nicht wissen«, unterbrach Brunetti sie viel zu laut. »Nichts will ich davon wissen, Daniela. Es geht weder mich noch die Polizei etwas an.«
    »Warum haben Sie mich dann angerufen?« entgegnete sie, immer noch zornig; aber immerhin weinte sie nicht mehr.
    »Es geht nur darum, was Dottor Franchi gewollt hat.«
    »Weiß der Himmel, was der will!« gab sie aufgebracht zurück. »Daß jeder so ein verdruckster kleiner Kastrat wird wie er.«
    »Hat er Sie angerufen?«
    »Ich sagte doch schon, daß er meine Schwiegermutter angerufen hat. Nein, nicht mich, sondern sie, Lucas Mutter. Ist das deutlich genug?«
    »Und wollte er Geld?«
    »Geld?« wiederholte Daniela und fing an zu lachen, ein seltsam heiseres Lachen, das sich kaum von ihrem Schluchzen unterschied. Nach einer Pause sagte sie: »Nein, er hat nichts verlangt, kein Geld, keinen Sex, gar nichts. Er wollte nur, daß die Sünderin bestraft wird.«
    »Es tut mir so leid, Daniela«, sagte Brunetti und meinte sowohl ihren Schmerz als auch seine Fragen, mit denen er ihn wieder aufgerührt hatte.
    »Mir tut's auch leid«, antwortete sie. »Reicht das?« »Ja, natürlich.«
    »Sie wollen nichts weiter wissen?« »Ich sagte doch: Es geht mich nichts an.«
    »Dann Adieu, Guido. Tut mir leid, daß wir dieses Gespräch führen mußten.«
    »Mir auch, Daniela«, sagte Brunetti kleinlaut.

24
    I hre Stimme hatte ihm fast das Herz gebrochen. Brunetti legte den Hörer so vorsichtig auf die Gabel, als fürchte er, auch der könnte entzweigehen. Er verließ sein Büro und schlich, verstohlen wie ein Dieb, die Treppe hinunter und ins Freie. Der Regen neulich hatte Straßen und Plätze rein gewaschen, aber schon machten Staub und Schmutz sich wieder breit. Er spürte sie unter seinen Tritten, oder vielleicht bildete er sich das auch nur ein, und der Dreck rührte einzig von den Dingen her, mit denen sein Beruf ihn in Berührung brachte. Die Passanten, die ihm entgegenkamen, wirkten ganz normal, unschuldig und harmlos; manche sahen sogar glücklich aus.
    Erst als er in den Campo Santa Marina einbog, merkte er, daß sein Körper sich so verkrampft hatte, daß er sich anfühlte wie ein einziger Knoten. Er machte am Zeitungskiosk halt und blickte durch die Glasscheibe auf die ausgestellten Zeitschriften, während er unablässig mit den Schultern rollte, um sie zu lockern. Titten und Ärsche. Schon vor Monaten hatte Paola wieder einmal an ihn appelliert, er solle sich doch einen Tag lang die Zeit nehmen, die nackten Mädchen zu zählen, die ihm in Boulevardzeitungen, Illustrierten, auf den Werbeplakaten der Vaporetti und in allen möglichen Schaufenstern begegneten. Das, so Paola, könnte ihm helfen, die Einstellung mancher Frauen den Männern gegenüber zu verstehen. Und nun stand er hier wie zur Beweisaufnahme; wobei der Anblick all dieses

Weitere Kostenlose Bücher