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Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen

Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen

Titel: Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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abzuwehren?
    »Dann will ich versuchen, mich präziser auszudrücken. Hatten Sie oder Ihr Mann Grund zu der Annahme, daß die Polizei, beziehungsweise die Carabinieri, an Ihnen interessiert sein könnten oder an Sie herantreten würden?« Noch bevor er die Frage zu Ende formuliert hatte, wußte Brunetti, daß seine Wortwahl mißglückt war und Signora Marcolini auf die Palme bringen würde.
    Er hatte sich nicht getäuscht. »An uns herantreten?« echote sie fassungslos und trat mit erhobener Hand einen Schritt vom Fenster weg. Ihre Stimme bebte vor Zorn, als sie mit ausgestrecktem Finger auf Brunetti losging. »›An uns herantreten‹. Davon kann keine Rede sein, Signore: Das war ein Angriff, ein Überfall, eine Attacke.« Mit hochrotem Kopf brach sie ab; nur die Hautpartie rings um den Mund war blaß geblieben. Sie machte einen Schritt auf Brunetti zu, geriet ins Taumeln, tastete mit der Hand nach dem Fensterbrett und stützte sich mit dem Ellbogen ab.
    Brunetti war sofort zur Stelle und half ihr, halb angelehnt, halb sitzend auf der Fensterbank Halt zu finden. Während er sie fürsorglich am Arm hielt, stemmte sie die Hände auf die Knie und beugte sich mit geschlossenen Augen und hängendem Kopf nach unten.
    Auf halber Höhe des Korridors streckte Sandra den Kopf aus der Tür zu Pedrollis Zimmer, aber Brunetti hob beschwichtigend die Hand, und die Schwester zog sich zurück. Ohne sich aufzurichten, rang Signora Marcolini mehrmals tief und krächzend nach Luft.
    Am Ende des Korridors erschien ein Mann im weißen Laborkittel. Doch er war so auf das Blatt Papier in seiner Hand fixiert, daß er Brunetti und Signora Marcolini übersah oder ihnen jedenfalls keine Beachtung schenkte. Ohne anzuklopfen, verschwand er in einem der Krankenzimmer.
    Es dauerte eine Weile, bis Signora Marcolini sich wieder aufrichtete. Die Augen hielt sie jedoch weiter geschlossen. Brunetti ließ ihren Arm los.
    »Danke«, stieß sie keuchend hervor. »Es war furchtbar. Der Lärm weckte mich. Polternde Männerstimmen, und als ich mich umschaute, sah ich, wie ein Mann mit irgendwas auf Gustavo einschlug und ihn zu Fall brachte. Dann fing Alfredo an zu schreien. Ich dachte wirklich, die Männer würden uns etwas antun.«
    Sie schlug die Augen auf und sah Brunetti an. »Ich glaube, wir waren wohl nicht recht bei Sinnen. Vor lauter Angst.«
    »Angst wovor?« Brunetti fragte es ganz behutsam, um nicht wieder Öl ins Feuer zu gießen.
    »Daß sie uns verhaften würden«, antwortete sie.
    »Wegen des Babys?«
    Sie senkte den Kopf auf die Brust, aber er hörte ihr leises »Ja«.

8
    M öchten Sie darüber reden, Signora?« fragte Brunetti. In diesem Moment trat der Mann im weißen Laborkittel aus einem Zimmer links vom Flur, steuerte die gläserne Flügeltür am Ende des Korridors an und verschwand, nachdem er sie passiert hatte, um die nächste Ecke.
    Brunetti wußte aus Erfahrung, daß er sich jetzt am besten so lange ruhig verhielt, bis Signora Marcolini sich seiner Gegenwart kaum mehr bewußt war. Eine Minute verstrich und dann noch eine. Der Commissario, der seinerseits die Frau neben sich mit wachen Sinnen wahrnahm, starrte blicklos den Flur hinunter.
    Endlich begann sie, diesmal mit sanfterer Stimme, zu sprechen. »Wir können keine Kinder bekommen. Und adoptieren konnten wir auch keine.« Nach einer Pause fuhr sie fort: »Oder wenn, dann wären, bis man unsere Anträge bearbeitet und genehmigt hätte, die einzigen Kandidaten, die noch in Frage kämen ... also die wären dann schon wesentlich älter gewesen. Aber wir wollten«, erklärte sie, und Brunetti wappnete sich für das, was jetzt kommen würde, »... ein Baby.« Sie sprach so beherrscht, als sei sie sich gar nicht im klaren darüber, wie pathetisch ihr Geständnis wirkte, und das wiederum ging Brunetti erst recht nahe.
    Er gestattete sich ein zustimmendes Kopfnicken, hüllte sich aber weiter in Schweigen.
    »Meine Schwester ist nicht verheiratet, doch Gustavos Schwester hat drei Kinder«, sagte Signora Marcolini. »Und sein Bruder zwei.« Sie sah ihn forschend an, ob er begriff, daß sie und ihr Mann im Vergleich zu den Geschwistern versagt hatten, und fuhr dann fort.
    »Eines Tages erzählte jemand hier im Krankenhaus - einer von Gustavos Kollegen oder vielleicht auch ein Patient - meinem Mann von einer Privatklinik.« Brunetti wartete ab, bis sie weitersprach, und sie setzte ihren Bericht fort. »Wir sind hingefahren und haben uns untersuchen lassen, aber es gab ... es gab

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