Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen
ich.«
Obwohl er geneigt war, dem Arzt zu glauben, hakte Brunetti nach. »Und wie?«
»All unsere Patienten - oder besser gesagt, deren Eltern, da wir ja ausnahmslos Kinder behandeln -, die einen Untersuchungstermin haben, müssen sich bei der diensthabenden Stationsschwester eintragen. Und die vergleicht am Ende ihrer Schicht diese Einträge mit den im Computer erfaßten Konsultationen eines jeden Arztes der Abteilung.« Brunettis Einwurf vorwegnehmend, setzte er hinzu: »Eine denkbar simple Methode, ich weiß. Für die Schwester bedeutet sie jeweils fünf Minuten Mehrarbeit, dafür sind wir aber auch gegen jeden Betrug gefeit.«
»Das klingt, als hätten Sie Ihr System eigens entwickelt, um solche Täuschungsmanöver zu unterbinden, Dottore«, sagte Brunetti. »Falls Sie mir die Bemerkung erlauben.«
»Nur zu, Commissario: Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen!« Pedrolli hielt inne, bis Brunetti seinen Blick erwiderte, und dann sagte er: »Als Angehöriger so einer Klinik bleibt einem nichts verborgen.«
»Verstehe«, murmelte Brunetti.
»War das alles, was Sie mich fragen wollten?« erkundigte sich Pedrolli und verlagerte, schon fast auf dem Sprung, sein Gewicht nach vorn an die Stuhlkante.
»Nein, Dottore, da wäre noch etwas. Wenn Sie mir also noch ein paar Minuten schenken würden ...«
Pedrolli lehnte sich wieder zurück. »Selbstverständlich«, sagte er, sah aber dabei auf die Uhr. Als plötzlich sein Magen laut und vernehmlich zu grummeln anfing, quittierte er dies wieder mit einem fast verschämten Lächeln. »Ich habe noch nicht zu Mittag gegessen.«
»Ich will mich bemühen, Sie nicht zu lange aufzuhalten«, versprach Brunetti und hoffte, sein eigener Magen werde dem des Arztes nicht nacheifern.
»Dottore«, begann Brunetti erneut, »sind Sie Kunde der Apotheke am Campo Sant'Angelo?«
»Ja. Das ist von meiner Wohnung aus die nächste.«
»Und gehen Sie schon lange dorthin?«
»Seit wir in die Gegend gezogen sind, vor ungefähr vier Jahren. Oder nein, schon etwas länger.«
»Und der Apotheker? Sind Sie gut mit ihm bekannt?« forschte Brunetti weiter.
Es verstrich eine ganze Weile, bevor Pedrolli, jedes Wort sorgsam betonend, erwiderte: »Ah, Dottor Franchi, der gnadenlose Hüter der Moral!« Und mit nüchterner Stimme setzte er hinzu: »Ich würde sagen, ich kenne ihn so gut, wie jeder Arzt einen Apotheker kennt.«
»Könnten Sie sich etwas deutlicher ausdrücken, Dottore?«
Pedrolli zuckte mit den Schultern. »Dottor Franchi und ich sind unterschiedlicher Auffassung, was menschliche Schwächen anbelangt.« Er lächelte gequält. »Signer Franchi legt entschieden strengere Maßstäbe an als ich.« Da Brunetti sich nicht dazu äußerte, fuhr Pedrolli fort: »Unsere beruflichen Kontakte beschränken sich darauf, daß ich mich bei ihm erkundige, ob meine Patienten ihre Rezepte einlösen. Oder wenn ich jemandem telefonisch ein bestimmtes Mittel verordnet habe, dann gehe ich auch schon mal vorbei und stelle nachträglich das Rezept aus.«
»Und für Ihren eigenen Bedarf, Dottore? Ich meine, kaufen Sie auch bei Dottor Franchi ein?«
»Doch, schon - Zahnpasta und das eine oder andere für die Hausapotheke. Gelegentlich besorge ich auch irgendein Medikament für meine Frau.«
»Lassen Sie auch Ihre Rezepturen dort herstellen?«
Pedrolli erwog die Frage gewissenhaft, bevor er sie schließlich verneinte. »Alles, was ich an Arzneimitteln brauche, bekomme ich hier in der Klinik.«
Brunetti nickte.
Pedrolli lächelte, aber es war nicht mehr dasselbe Lächeln wie zuvor. »Darf ich erfahren, warum Sie mich das alles fragen, Commissario?«
Statt darauf zu antworten, stellte Brunetti eine Gegenfrage: »Dottor Franchi hat also in den ganzen vier Jahren niemals eine Medizin für Sie zubereitet?«
Pedrolli richtete den Blick gleichsam nach innen. »Warten Sie, einmal vielleicht doch. Nicht lange nach unserem Einzug bekam ich eine Grippe, und Bianca hat mir was aus der Apotheke geholt. Ob mit oder ohne Rezept, weiß ich nicht mehr.«
Vor lauter Anstrengung, sich zu erinnern, kniff Pedrolli die Augen zusammen, und er wollte eben etwas sagen, als Brunetti ihm zuvorkam. »Angenommen, Sie hätten ein Rezept gebraucht, Dottore, wäre das dann in Ihren Behandlungsunterlagen vermerkt worden?«
Pedrolli sah ihn durchdringend an; dann aber wich jeder Ausdruck von seinem Gesicht, als hätte man ihn plötzlich abgeschaltet. Den flackernden Blick, unter dem seine Züge sich wieder belebten, wußte
Weitere Kostenlose Bücher