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Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen

Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen

Titel: Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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die Mißstände im Land; und die Frauen als Betthäschen zum Beweis ihrer Männlichkeit.
    Giuliano Marcolini war der Gründer der Lega Doge - Brunetti schrak davor zurück, ihn als den Ideologen seiner Partei zu bezeichnen, weil man daraus hätte schließen können, daß die Lega Doge sich mit Ideen auseinandersetzte. Innerhalb von zwanzig Jahren hatte Marcolini seinen kleinen Klempnerbetrieb zu einer Kette von Megaläden ausgebaut: Höchstwahrscheinlich hatten auch die Handwerker, die vor vier Jahren Brunettis Badezimmer renoviert hatten, ihr Installationszubehör aus einer MarcoliniFiliale bezogen.
    So mancher Krösus kaufte sich eine Fußballmannschaft; andere wechselten die Gattin aus oder ließen sie überholen; wieder andere stifteten Krankenhäuser oder Museen: Brunetti hatte das Pech, in einem Land zu leben, wo sie politische Parteien gründeten. Nach dem Vorbild anderer Separatistenverbände hatte auch die Lega Doge ihre Fahne mit einem aufsteigenden Wappentier schmücken wollen; da aber der Löwe bereits vergeben war, wurde der Greif in Beschlag genommen, obwohl er in der Geschichte Venedigs kaum eine Rolle spielte und in seiner Ikonographie nur ganz selten vorkam. Die Farben der Partei waren Gelb und Violett und ihr Erkennungszeichen eine in die Luft gereckte, geballte Faust; ein Symbol, das zumindest jeden geschichtsbewußten Menschen - womit die meisten Parteimitglieder von vornherein ausschieden - peinlich an den Black-Power-Gruß zweier amerikanischer Sportler bei der Olympiade 1968 in Mexiko erinnerte. Ein schalkhafter Journalist der Linken hatte es einmal als Anspielung auf die Knauserigkeit der Venezianer gedeutet, und die gelbvioletten Fahnen nebst passenden T-Shirts hatten ihren ersten Auftritt dummerweise gleichzeitig mit der in denselben Farben gehaltenen Frühjahrskollektion eines stockschwulen Designers.
    Doch Marcolinis markige Rhetorik und die Ergebenheit seiner Anhänger hatten sich über diese Startschwierigkeiten mühelos hinweggesetzt, so daß die Lega Doge in den sechs Jahren seit ihrer Gründung bereits in vier Städten des Veneto den Bürgermeister stellte sowie zahlreiche Sitze in den Stadträten von Verona, Brescia und Treviso erobert hatte. Sogar die Regierung in Rom bekundete mittlerweile ein gewisses Interesse an Signor Marcolini und seinen ... die Rechte nannte es »Ideen«, während die Linke von »Meinungen« sprach. Politiker, die glaubten, Marcolini könne ihnen nützlich sein, hofierten ihn; was Brunetti an einen Abgeordneten aus der Weimarer Republik erinnerte, dessen Partei wenig später zusammen mit allen übrigen Rivalen des Führers in den Orkus befördert werden sollte: »Reden kann er, dieser Hitler! Den Mann könnten wir gebrauchen.«
    Als er auf den Campo Santa Marina kam, überlegte Brunetti, wie er sich bei seinem Auftritt präsentieren sollte. Schroff selbstverständlich, wie ein richtiger Mann, der sich nichts gefallen ließ, schon gar nicht von Frauen oder Ausländern. Es sei denn, die Ausländer waren Männer und Europäer und einer zivilisierten Sprache wie der italienischen mächtig - obwohl richtige Männer ja eigentlich Dialekt sprachen, nicht wahr? Heute morgen hatte Brunetti noch nichts von seinem Treffen mit Marcolini gewußt; sonst hätte er sich dem Anlaß entsprechend gekleidet, auch wenn er sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, welches die angemessene Tracht für einen Besuch in der Zentrale der Lega Doge sein mochte. Etwas mit militärischem Touch und einer Spur von Dominanz: Marvillis Stiefel vielleicht?
    Er ging am Hotel vorbei und bog in den Ramo Bragadin ein. Der erste Eingang auf der rechten Seite führte in einen Innenhof, von dem aus man über eine Treppe zu den Büroräumen der Lega Doge gelangte. Im Erdgeschoß war eine Marmorwerkstatt untergebracht, und Brunetti fragte sich, wieviel Lärm wohl nach oben dringen mochte. Auf sein Läuten hin erschien unverzüglich ein glattrasierter junger Mann in schwarzen Jeans und Tweedjackett.
    »Guido Brunetti«, stellte er sich, seinen Titel weglassend, vor und streckte die Hand aus. »Signor Marcolini erwartet mich.« Brunetti gab sich Mühe, das Hochitalienisch so überdeutlich auszusprechen, als ob es angelernt wäre.
    Der junge Mann, dessen Gesicht so schmal war, daß seine Augen noch engstehender wirkten, als sie es ohnehin schon waren, schüttelte Brunetti lächelnd die Hand. Er antwortete im Dialekt: »Der Commendatore ist gleich frei, Signore. Wenn Sie mir bitte folgen wollen. Ich

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