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Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen

Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen

Titel: Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Brunetti nicht zu deuten. »Meine Behandlungsunterlagen?« erkundigte er sich endlich. Aber so, wie er sie stellte, war es eigentlich keine Frage mehr. »Warum interessieren Sie sich dafür, Commissario?«
    Brunetti sah keinen Grund, ihm die Antwort zu verweigern, solange das Thema Erpressung ausgespart blieb. »Wir ermitteln wegen Mißbrauchs medizinischer Daten, Dottore.«
    Er wartete, gespannt, wie Pedrolli auf diesen Hinweis reagieren würde, doch der Arzt blinzelte nur kurz und sagte achselzuckend: »Dazu fällt mir nichts Bestimmtes ein, fürchte ich.« Brunetti aber hatte den Eindruck, daß sich hinter der gleichmütigen Fassade, die Pedrolli zur Schau trug, die Spekulationen jagten, ja, daß der Dottore sich vielleicht schon zu wappnen suchte für das, worauf diese Befragung hinauslief.
    In dem Bewußtsein, daß er das Schicksal von Pedrollis Adoptivkind bislang völlig ausgeklammert hatte, fing Brunetti noch einmal von vorne an. »Also eigentlich«, erklärte er in gänzlich verändertem Ton, »wollte ich ja mit Ihnen über Ihren Sohn reden.«
    Ihm war so, als höre er Pedrolli nach Atem ringen. Auf jeden Fall war der Laut, der ihm entschlüpfte, stärker als ein Seufzer, auch wenn das Gesicht des Arztes keine Regung zeigte.
    »Was möchten Sie denn wissen über meinen Sohn?« fragte Pedrolli mit mühsam beherrschter Stimme.
    »Laut den mir vorliegenden Berichten ist nicht damit zu rechnen, daß die leibliche Mutter ihr Kind zurückfordern wird.« Falls Pedrolli die Tragweite dieser Feststellung begriff, so ließ er es sich nicht anmerken. »Und darum«, fuhr Brunetti fort, »habe ich mich gefragt, ob Sie wohl erwägen, den Fall vor Gericht zu bringen.«
    »Welchen Fall?«
    »Den der Rückführung Ihres Sohnes.«
    »Wie stellen Sie sich das denn vor, Commissario?«
    »Nun, Ihr Schwiegervater hat zweifellos jede ... na ja, er hat sicher sehr viele Beziehungen. Da könnte er doch vielleicht ...« Brunetti beobachtete das Gesicht seines Gegenübers und hoffte gespannt auf irgendeine Gefühlsregung, doch er wartete vergebens.
    Mit einem Blick auf seine Armbanduhr sagte der Arzt: »Ich möchte nicht unhöflich sein, Commissario, aber hier handelt es sich um reine Familienangelegenheiten, und die würde ich lieber nicht mit Ihnen besprechen.«
    Brunetti erhob sich. »Ich wünsche Ihnen alles Gute, Dottore. Falls Sie irgendwann mal meine Hilfe brauchen können, bin ich für Sie da«, versicherte er und streckte die Hand aus.
    Pedrolli schlug ein und schien etwas sagen zu wollen. Aber er blieb stumm.
    Er finde schon selbst hinaus, versicherte Brunetti zum Abschied. Und beschloß, während er die Klinik verließ, vor seinem Termin mit Pedrollis Schwiegervater noch irgendwo einen Happen zu essen.

21
    D ie Trattoria, in der Brunetti einkehrte, lag am Fuß der zweiten Brücke zwischen Klinik und Campo Santa Marina. Da kein Tisch mehr frei war, begnügte er sich mit einem Glas vino novello und einem Teller cichetti, die er im Stehen an der Bar verzehrte. Er hatte kein Ohr für die angeregten Gespräche, die ihn umschwirrten: zu sehr beschäftigte ihn Pedrollis Erregung über die Frage nach seiner Krankenakte. Oder war es das Stichwort Mißbrauch gewesen, was den Arzt so betroffen gemacht hatte?
    Die fondi di carciofi schmeckten köstlich, und Brunetti bestellte zwei nach, dazu noch eine polpetta und ein weiteres Glas Wein. Als er aufgegessen hatte, war er zwar nicht satt, aber auch nicht mehr hungrig. Diese improvisierten Mahlzeiten, mit denen er so oft vorliebnehmen mußte, gehörten zu den unangenehmsten Begleiterscheinungen seines Berufes, zusammen mit jenen allzu häufigen nächtlichen Anrufen wie dem, der die ganze Geschichte in Gang gesetzt hatte. Er zahlte, verließ die Trattoria und nahm die Abkürzung hinter der Miracoli-Kirche zum Campo Santa Marina.
    Paola hatte ihm den Weg zu Marcolinis Parteizentrale nicht zu beschreiben brauchen: Deren wahlweise berühmter oder berüchtigter Sitz hatte sich einem jeden Venezianer in Herz und Hirn gebrannt. Die Lega Doge war eine jener Separatistenparteien, die in jüngerer Zeit auch im Norden Italiens Schule machten und deren Programm mit dem üblichen primitiven Gebräu aus Angst, Ranküne und Ressentiment Front machte gegen den sozialen Wandel im Land. Sie verachteten Ausländer, Linke und Frauen gleichermaßen, und das, obwohl sie auf alle drei Gruppen bitter angewiesen waren: Die Fremden brauchten sie als Arbeiter für ihre Fabriken; die Linken als Sündenböcke für

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