Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen
dieses Kind ... Ich wußte auf Anhieb, daß das nicht zu uns gehörte. Man braucht sich ja nur die kleinen Augen anzusehen und diesen Schädel.« Marcolini schüttelte ungläubig den Kopf, und Brunetti brummelte irgend etwas Zustimmendes, in der Hoffnung, den Alten zum Weiterreden zu ermuntern.
»Aber Bianca ist meine Tochter«, hob Marcolini wieder an, und Brunetti hatte den Eindruck, daß er jetzt ebensosehr zu sich selbst wie zu seinem Zuhörer sprach. »Und ich dachte eben, sie hätte sich dieses Kind genauso gewünscht wie er. Bis zu dem Tag, als sie mir ihre wahren Gefühle offenbarte: Daß der Bankert ihr nur eine Last sei, ein Schreihals, den sie betreuen und versorgen müsse, obwohl sie ihn eigentlich gar nicht haben wollte. Gustavo war derjenige, der verrückt war nach dem Bankert, der's gar nicht erwarten konnte, nach Hause zu kommen, um mit ihm zu turteln. Kümmerte sich überhaupt nicht mehr um seine Frau, nur noch um das Baby, und das hat meiner Bianca natürlich nicht gefallen.«
»Verständlich«, warf Brunetti ein.
»Ich sagte dann sinngemäß: ›Also genau wie die Geschichte heute in der Zeitung, hm?‹, weil wir ja zuvor darüber gesprochen hatten. Ich meinte, daß Gustavo auf die gleiche Weise zu dem Kind gelangt war, aber Bianca dachte, es ginge darum, wie die Polizei davon Wind bekommen hatte.«
»Durch einen Telefonanruf?« fragte Brunetti, scheinbar sehr stolz auf seine Kombinationsgabe.
»Ja, durch einen Anruf bei den Carabinieri.«
»Und daraufhin hat Ihre Tochter Sie dann wohl gebeten, auch so einen Anruf zu tätigen?« Brunetti wußte, daß er diese Ungeheuerlichkeit erst glauben würde, wenn er sie aus Marcolinis Mund hörte.
»Ja, ich sollte den Carabinieri einen Wink geben, durchblicken lassen, daß Gustavo das Baby gekauft hat. Da der Name der Mutter mit auf der Geburtsurkunde stand, würde es ein leichtes sein, sie aufzuspüren.«
»Und genauso kam es auch, nicht wahr?« Brunetti zwang sich, Anerkennung, ja sogar eine Spur Begeisterung in seine Stimme zu legen.
»Ich hatte keine Ahnung, was passieren würde, nachdem die Carabinieri den Fall überprüft hatten«, sagte Marcolini. »Und ich glaube, Bianca wußte es auch nicht. Sie hat gesagt, sie war außer sich vor Angst, in der Nacht, als sie kamen. Das arme Kind hielt sie für Terroristen oder Einbrecher, irgend so was.« Marcolinis Stimme begann zu zittern, als er sich die Leidensqualen seiner Tochter vorstellte. »Nicht im Traum hätte ich damit gerechnet, daß die so brutal vorgehen und gleich das Haus stürmen würden.«
»Natürlich nicht«, pflichtete Brunetti ihm bei.
»Gott allein weiß, was die ihr für einen Schrecken eingejagt haben.«
»Es muß für beide furchtbar gewesen sein«, erlaubte Brunetti sich anzumerken.
»Ja. Per carità, das habe ich nicht gewollt!«
»Davon bin ich überzeugt.«
»Und sie hätten wohl auch nicht so grob mit Gustavo umspringen sollen«, ergänzte Marcolini mit belegter Stimme.
»Nein, gewiß nicht.«
Die Wolken lichteten sich und Marcolinis düstere Anwandlung verflog. »Aber das Problem habe ich gelöst, nicht wahr?« fragte er. Dann, als werde ihm eben erst bewußt, mit wem er sprach, fügte er besorgt hinzu: »Ich kann Ihnen doch vertrauen, Commissario, oder?«
Brunetti verzog sein Gesicht zu einem breiten Grinsen und sagte: »Die Frage erübrigt sich, Signore. Schließlich haben unsere Väter doch zusammen gekämpft, nicht wahr?« Und, wie überwältigt von der Erkenntnis, setzte er hinzu: »Außerdem haben Sie ja gegen kein Gesetz verstoßen, oder?«
»Nein, habe ich nicht, wie?« Marcolini lächelte verschlagen. Offenbar war er selbst längst zu diesem Schluß gelangt. Er beugte sich vor und gab Brunetti einen kameradschaftlichen Klaps auf die Schulter.
Brunetti begriff schlagartig, wie leicht es wäre, Marcolini jetzt am Reden zu halten. Er brauchte ihn lediglich mit weiteren Fragen anzuspornen, die Marcolini sicher beantworten würde, vielleicht sogar ehrlich. Es war dies ein weitverbreitetes Phänomen, das Brunetti allerdings vor allem aus der Einvernahme von Tatverdächtigen kannte. Sobald der Beschuldigte sich im Glauben wähnte, er habe die Sympathie des Fragestellers errungen, und diesem im Gegenzug sein Vertrauen schenkte, war er bereit, sogar Verbrechen zu gestehen, die man ihm noch gar nicht zur Last gelegt hatte. Ja, fast schien es, als schlügen die Betroffenen jede Vorsicht in den Wind, nur um sich das Wohlwollen ihres Zuhörers zu sichern. Marcolini
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