Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen
trotzdem tat Brunetti ein übriges und heuchelte nach besten Kräften Zustimmung. »Aber ich war im Zweifel, weil ... wie gesagt, Bianca schien das Kind zu mögen, und ich wollte nichts tun oder sagen, was sie gekränkt oder unser Verhältnis getrübt hätte.«
»Versteht sich«, bestätigte Brunetti, freundlich lächelnd, von Vater zu Vater. Dann bohrte er vorsichtig nach: »Aber?«
»Aber dann war sie eines Tages zu Hause - also in meinem, unserem Haus. Genau an dem Tag, als die Zeitungen über diese Rumänin berichteten, die ihr Baby verkauft hatte. Unten im Süden«, setzte Marcolini verächtlich hinzu. »Kommt ja alles von da her. Die haben eben keinen Ehrbegriff.«
Brunetti nickte, als hätte er nie etwas Wahreres gehört.
»Da habe ich endlich den Mund aufgemacht. Ich war einfach wütend, doch sowie es heraus war, hatte ich Angst, ich sei vielleicht zu weit gegangen. Aber dann hat Bianca mir gestanden, daß es bei ihnen genauso gelaufen ist - oder vielmehr, daß Gustavo es so gemacht hat. Jedenfalls sei das Baby nicht von ihm.« Marcolini unterbrach sich, um zu sehen, ob Brunetti seiner Geschichte noch folgte. Und Brunetti gab seine wachsende Spannung bereitwillig zu erkennen.
»Bis dahin, das schwöre ich, war ich überzeugt, es sei Gustavos Kind, und erklärte mir sein Aussehen damit, daß das Erbgut der Mutter stärker durchgeschlagen sei. Wie bei den Schwarzen: Da genügt auch schon ein kleiner Schuß Negerblut, und die schwarzen Gene setzen sich durch.« Es hörte sich an, als ob Mendel die Kreuzungsregeln seiner Erbsen erklären würde.
»Doch dann hat Bianca mir die wahre Geschichte erzählt. Ein Kollege von Gustavo - ein ehemaliger Kommilitone - hatte sich in Cosenza niedergelassen. Bei ihm war eine schwangere Patientin in Behandlung, die ihr Baby - na ja, weggeben wollte.«
»Zur Adoption?« fragte Brunetti, ganz findiger Kriminalist.
»Von mir aus können Sie es so nennen.« Marcolini grinste komplizenhaft. »Jedenfalls ist Gustavo runtergefahren, um sich mit seinem Freund und mit dieser Frau zu treffen. Und als er zurückkam, hat er Bianca eingeweiht, und sie stimmte zu, weil Gustavo ihr versicherte, das sei ihre einzige Chance, an ein Baby zu kommen. Sie war eigentlich nicht dafür, aber er hat sie überredet. Die beiden waren schon zu alt, um auf legalem Wege ein Baby zu adoptieren - ein größeres Kind vielleicht, aber kein Neugeborenes -, und alle Testergebnisse schlossen eigenen Nachwuchs aus.« Marcolini hielt inne und stieß ein kurzes, bellendes Lachen hervor. »Das ist so ungefähr der einzige Vorteil, den Gustavos Beruf uns je gebracht hat: Er konnte wenigstens diese ganzen Tests auswerten. Ja, und so war Bianca letztlich einverstanden.«
»Verstehe«, murmelte Brunetti. »Und dann ist Ihr Schwiegersohn wieder nach Cosenza gereist und hat das Kind geholt?«
»Ja. Geht ganz leicht da unten, so was. Er ist einfach ins Ufficio Anagrafe, hat das Baby als seinen Sohn eintragen lassen, und die Frau hat's mit ihrer Unterschrift bezeugt.« Marcolini verdrehte die Augen zur Decke, was Brunetti sehr melodramatisch vorkam, und fuhr fort: »Sie kann vermutlich weder lesen noch schreiben, aber die Geburtsurkunde, die hat sie unterschrieben, und damit gehörte das Kind ihm. Und er hat ihr zehntausend Euro dafür gegeben.« Marcolinis Zorn hatte jetzt nichts Melodramatisches, sondern war durchaus echt. »Wieviel er gezahlt hat, das hat er Bianca erst später gestanden. Der Trottel.«
Man sah dem Alten an, daß er noch mehr auf dem Herzen hatte; also verhielt Brunetti sich still und ließ nur seinen gespannten Gesichtsausdruck für sich sprechen. Und wirklich ergriff Marcolini gleich wieder das Wort. »Herrgott noch mal! Er hätte den Balg auch für weniger bekommen. Dieser andere Kerl - der mit der Rumänin -, der hat der Mutter bloß einen permesso di soggiorno besorgt und eine Unterkunft. Aber nein, Dottor Pedrolli muß den gran signore spielen und dieser Schlampe zehntausend Euro in den Rachen werfen!« Fassungslos warf Marcolini die Hände in die Luft, dann fuhr er fort. »Wahrscheinlich hat sie das Geld für Drogen verpulvert oder es ihrer Familie in Albanien geschickt. Zehntausend Euro!« wiederholte er, außer sich vor Empörung.
»Und als er den kleinen Bankert anbrachte, da habe ich sofort gesehen, was mit ihm nicht stimmte. Aber ich dachte ja, wie gesagt, das läge am dominierenden Erbgut der Mutter. Man sollte meinen, so kurz nach der Geburt sähen alle Babys gleich aus, aber
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