Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen
einem Schlag alles Leutselige verloren, »seine Eltern sind zwei Albaner, die sich illegal in unser Land geschlichen haben.« Er legte eine wirkungsvolle Pause ein und wiederholte dann: »Albaner, Herrgott noch mal!«
Statt zu antworten, setzte Brunetti eine äußerst gespannte Miene auf, und Marcolini fuhr fort: »Die Mutter ist wahrscheinlich irgend so eine Schlampe: Jedenfalls war sie nur zu gern bereit, ihren Sohn für zehntausend Euro zu verkaufen. Es ist also nur zu seinem Besten, wenn er ins Waisenhaus kommt und von dieser Mutter ferngehalten wird.«
»Das habe ich nicht gewußt, Signore«, versicherte Brunetti in mißbilligendem Ton.
»Ja, ich bin sicher, es gibt da eine Menge, was weder Sie noch die Carabinieri wissen«, entgegnete Marcolini mit wachsendem Zorn. »Zum Beispiel, daß diese Affäre in Cosenza glatt erlogen ist. Gustavo hat dort unten an einem Medizinerkongreß teilgenommen und nebenher diesen Babykauf eingefädelt.« Hier blickte Brunetti so verdutzt drein, als hörte er die Geschichte zum ersten Mal.
Marcolini erhob sich und trat hinter seinen Schreibtisch. »Ich hätte ja noch Verständnis gehabt, wenn es so gewesen wäre, wie er anfangs behauptete. Ein Mann hat seine Bedürfnisse, er war eine ganze Woche fort, und wenn er dieser kleinen Schlampe ein Kind gemacht hätte - wie gesagt, ich hätt's ihm nachgesehen. Und dann wäre es immerhin sein Sohn gewesen. Aber Gustavo hat's noch nie verstanden, sich zu amüsieren. Dieses Kind war nichts weiter als ein kleiner albanischer Bastard, den seine Mutter zu Geld machen wollte, und mein Schwiegersohn war so dumm, ihn zu kaufen und mit nach Hause zu bringen.«
Marcolini nahm eins der Fotos vom Schreibtisch und kam damit zurück. Er beugte sich über Brunetti und drückte ihm den Rahmen in die Hand. »Da, schauen Sie ihn sich an, den kleinen Albaner!«
Brunetti blickte auf das Bild und sah Pedrolli, dessen Frau und zwischen ihnen einen flachsblonden Säugling mit pausbäckigem Gesicht und dunklen Augen.
Marcolini durchmaß mit erregten Schritten den Raum, machte vor der Wand kehrt und kam zu Brunetti zurück. »Sie hätten ihn mal in natura sehen sollen, den kleinen Kuckuck, mit seinem Quadratschädel und dem flachen Hinterkopf, den sie alle haben, diese Balkanesen. Glauben Sie, ich möchte, daß meine Tochter sich für so einen als Mutter hergibt? Oder daß ich den als Erben dulde von allem, wofür ich ein Leben lang geschuftet habe?« Marcolini nahm das Foto wieder an sich und warf es, mit der Vorderseite nach unten, auf den Schreibtisch. Brunetti hörte das Glas zerspringen, doch Marcolini hatte es entweder nicht mitbekommen, oder es kümmerte ihn nicht, denn er griff schon nach einem anderen Rahmen und hielt ihn Brunetti unter die Nase.
»Schauen Sie, das ist Bianca, als sie zwei Jahre alt war. So sollte ein Kind aussehen!« Verblüfft starrte Brunetti auf das Foto eines flachsblonden Kleinkinds mit pausbäckigem Gesicht und dunklen Augen. Er sagte nichts, sondern nickte nur zustimmend. »Na?« forschte Marcolini. »Hab ich nicht recht? Ist sie nicht ein Bild von einem Kind?«
Brunetti gab das Foto zurück. »Ihre Tochter ist sehr schön, Signore. Damals wie heute.«
»Nur leider mit einem Trottel verheiratet«, seufzte Marcolini und ließ sich schwerfällig in seinen Stuhl fallen.
»Aber machen Sie sich denn keine Sorgen ihretwegen, Signore?« fragte Brunetti, Anteilnahme heuchelnd.
»Sorgen - wieso?«
»Na, daß der Kleine ihr fehlen wird.«
»Ihr fehlen?« Marcolini warf den Kopf zurück und lachte schallend. »Ja, was glauben Sie denn, wer mich zu dem Anruf angestiftet hat?«
22
B runetti konnte sein Erstaunen weder verbergen noch überspielen. Sekundenlang blieb ihm sogar der Mund offenstehen, bevor er daran dachte, ihn zuzuklappen. »So war das also«, murmelte er endlich mit zitternder Stimme.
»Tja, da sind Sie baff, was?« feixte Marcolini und lachte röhrend. »Ich muß gestehen, sie hat mich auch überrascht, meine Bianca. Dachte ja selbst, sie hätte Gefallen gefunden an dem Kind: Nur darum habe ich so lange stillgehalten, obwohl der Bankert mit der Zeit mehr und mehr zu einem kleinen Albaner wurde. Er sah nicht aus wie einer von uns«, erklärte der Alte mit finsterer Stimme. »Und damit meine ich nicht nur mich und Bianca oder meine Frau: Nein, er sah einfach nicht wie ein Italiener aus.«
Marcolini vergewisserte sich mit einem prüfenden Blick, ob Brunetti ihm auch aufmerksam zuhörte. Was zweifellos der Fall war;
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