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Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume

Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume

Titel: Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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wieder Leute vorbei, die auf dem Weg zum oder vom Campo San Beneto waren, möglicherweise auf der Suche nach dem seit Ewigkeiten geschlossenen Fortuny-Museum. Der Regen schreckte die Touristen ab, die sonst gern vom Ende der calle aus einen Blick auf den Canal Grande warfen.
    Obwohl Vianello nach etwa zwanzig Minuten heftig zu schlottern begann, lehnte er Brunettis Vorschlag, in der Calle della Mandola einen Kaffee trinken zu gehen, rundheraus ab. Seine Sturheit reizte Brunetti. »Dann hole ich eben einen«, entschied er schroff und zog ohne ein weiteres Wort ab. Der Regen machte ihm nichts mehr aus, ja das Glucksen in seinen Schuhen leistete ihm Gesellschaft, während er der breiteren Gasse zustrebte und die erste Bar am Weg betrat.
    Der Barmann machte erst große Augen und dann eine Bemerkung über den Regen, aber Brunetti ging nicht darauf ein, sondern bestellte einen caffe corretto und einen zweiten zum Mitnehmen. Der Barmann brachte beide gleichzeitig, und Brunetti gab jeweils drei Stück Zucker hinein. Nachdem er seine Tasse hastig geleert und die Rechnung beglichen hatte, wandte er sich zum Gehen. Der Barmann rief ihm nach, er könne sich den braunen Schirm neben der Tür ausborgen und ihn bei Gelegenheit zurückbringen.
    Dankbar für den Schirm kehrte Brunetti ans Wasser zurück. Wortlos reichte er Vianello den Kaffee. Der Inspektor pulte die Serviette vom Becher und stürzte das heiße Getränk wie Medizin hinunter. Er setzte zum Sprechen an, wurde aber von Motorengeräusch zu ihrer Linken unterbrochen.
    Und dann kam auch schon die Polizeibarkasse ins Blickfeld: Foa stand am Ruder, und hinter den Fenstern der Kabine erkannten sie die Umrisse der übrigen Männer. Foa steuerte das Boot zur Calle Traghetto hinunter. Brunetti und Vianello erwarteten die Spurensicherung im Schutz des Hauseingangs, den sie erst verließen, als der erste Kriminaltechniker mit seinem schweren Metallkoffer um die Ecke bog. Ihm folgten Laborchef Bocchese und Dottor Rizzardi, der Gerichtsmediziner. Hinter ihnen kamen noch zwei Mitglieder der Tatortgruppe in weißen Einweganzügen, auch sie beladen mit den schweren Gerätschaften ihres harten Berufs. Alle Männer trugen hohe Gummistiefel.
    Ehe Brunetti noch fragen konnte, wie sie es so schnell hierher geschafft hatten, erklärte der Mediziner: »Bocchese hat mich zu Hause angerufen und sich erboten, mich an der Salute abzuholen.« Damit ging er an Brunetti vorbei zu der am Boden liegenden Leiche. Rizzardis Schritt verlangsamte sich, als er sie erkennen konnte. »Ich hasse Kinder«, murmelte er. Eine Aussage, für die von den übrigen keiner eine Übersetzung brauchte: Sie alle hassten es, wenn Kinder betroffen waren.
    Brunetti bemerkte erst jetzt, dass außer ihm niemand einen Schirm trug. Es hatte aufgehört zu regnen, und vermutlich war es auch wärmer geworden, was er durch die feuchtkalten Kleider, die ihm am Leib klebten, allerdings nicht spürte. Doch Vianello neben ihm zitterte nicht mehr.
    Als sie sich der Leiche näherten, sagte Brunetti: »Vianello hat sie da raus gezogen, aber sie ist vielleicht nicht hier ins Wasser gelangt.« Wenn doch, dann hätten er und Vianello mit ihrer Rutschpartie auf den glitschigen Stufen jegliche Spuren eines möglichen Tathergangs gründlich zerstört.
    Bocchese, Rizzardi und einer der Kriminaltechniker knieten um die Leiche nieder, was bei Brunetti eine makabre Assoziation an die Weisen aus dem Morgenland auslöste und an die unzähligen Gemälde, auf denen er drei Männer vor einem anderen Kind hatte knien sehen. Er verscheuchte den Gedanken und trat neben Rizzardi.
    »Zehn?«, fragte der Doktor, den Blick unverwandt auf das Gesicht des Mädchens gerichtet. Brunetti versuchte sich zu erinnern, wie Chiara als Zehnjährige ausgesehen hatte, wie klein sie gewesen war, aber sein Gedächtnis ließ ihn im Stich.
    Die Augen des Mädchens waren geschlossen, dennoch sah sie keinesfalls wie eine Schlafende aus. Woher kam wohl dieser Mythos, dass die Toten aussähen, als ob sie schliefen? Nein, die Toten sahen tot aus: Um sie war eine Stille, die das Leben nicht nachzuahmen vermochte. Schlechte Maler, sentimentale Literatur gaukelten einem Bilder von friedlich schlafenden Toten vor - eine Illusion, die keiner echten Leiche standhielt.
    Rizzardi hob eine Hand des Mädchens und tastete nach dem Puls, eine absurde Formalität, die Brunetti gleichwohl seltsam berührte. Der Doktor vermerkte die Uhrzeit, bevor er die Hand des Mädchens wieder auf dem Pflaster

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