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Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume

Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume

Titel: Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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gehört und uns unbedingt dazu kriegen möchte, dass wir, sobald wir alt genug sind und wählen dürfen, für die Abspaltung Norditaliens stimmen und dafür, alle Ausländer rauszuwerfen.«
    »Und hört von deinen Klassenkameraden irgendwer auf das, was sie sagt?«
    »Nein, nicht mal die, deren Eltern tatsächlich die Lega wählen.« Chiara überlegte einen Moment und fuhr dann fort: »Piero Raffardi hat sie mal mit ihrem Mann in einem Laden gesehen, wo sie für ihn einen Anzug kaufen wollten. Er ist offenbar so ein mickriges Männchen mit Schnurrbart, und jedes Mal, wenn er was anprobierte, beklagte er sich über die horrenden Preise. Piero war in der Kabine gleich nebenan, und als er sah, wer der Mann und in wessen Begleitung er war, da beschloss er, in seiner Umkleide zu bleiben und die beiden zu belauschen.« Brunetti konnte sich gut vorstellen, welchen Spaß es einem Schüler machte, seine Lehrerin zu bespitzeln, besonders eine wie Professoressa Manfredi, ein Schreckgespenst für die meisten in Chiaras Klasse.
    Sie wandte ihm den Kopf zu und fragte: »Du erklärst mir jetzt aber nicht, dass es unhöflich ist zu lauschen?«
    »Das weißt du ohnehin«, entgegnete er ruhig. »Aber unter diesen Umständen konnte Piero wohl nicht widerstehen.«
    Darauf folgte ein langes Schweigen, unterbrochen nur durch die Geräusche aus der Küche. »Wieso sagt ihr, du und mamma, uns eigentlich nie, was richtig ist und was falsch?«, fragte Chiara unvermittelt.
    Ihr Ton verriet nicht, wie ernst die Frage gemeint war. »Ich glaube«, antwortete Brunetti nach einigem Zögern, »das tun wir schon, Chiara.«
    »Nein, tut ihr nicht«, widersprach sie. »Und als ich mamma einmal direkt darauf angesprochen habe, da hat sie bloß dieses blöde Bleak Hause zitiert.« Mit einer Stimme, die der von Paola täuschend ähnlich klang, deklamierte sie: »›Weiß, dass ein Besen ein Besen ist, und weiß, dass es eine Sünde ist zu lügen.‹« Und wieder in ihre natürliche Stimmlage wechselnd, fragte sie: »Was soll das eigentlich bedeuten?«
    Ob es das wohl noch ein zweites Mal gab oder je gegeben hatte? Eine Ehefrau, deren Moralkodex sich auf den englischen Roman stützte? Brunetti beschloss, seiner Tochter diese Frage zu ersparen, und sagte stattdessen: »Ich glaube, es bedeutet, man soll seine Arbeit, egal welche, ernst nehmen, und man soll nicht lügen.«
    »Ja, schon, aber wie steht's mit: Du sollst nicht töten oder nicht begehren deines Nächsten Weib?«
    Brunetti ließ sich tiefer in die Sofapolster sinken, während er die Frage überdachte. Nach einer Weile antwortete er: »Also eine Möglichkeit wäre, all das, die gesamten Zehn Gebote, als gesonderte Beispiele für die eine allgemeingültige Regel zu sehen.« »Meinst du so was wie Dickens' Goldene Regel?«, fragte Chiara lachend.
    »Nun ja, so könnte man's auch nennen«, räumte Brunetti ein. »Wer brav seiner Arbeit nachgeht, wird kaum seinem Nachbarn nach dem Leben trachten. Und in deinem Fall besteht wohl nicht die Gefahr, dass du viel Lebenszeit darauf verschwenden wirst, deines Nächsten Weib zu begehren.«
    »Ach, Papa, kannst du denn nie ernst sein?«, klagte sie. »Nicht mit hungrigem Magen!«, erwiderte Brunetti und erhob sich.

14
    A m nächsten Morgen las Brunetti als Erstes im Büro die Zeitungsberichte über die Auffindung der Mädchenleiche. Beim Gazzettino hatte es zeitlich nicht mehr für die Titelseite gereicht, doch dafür beschwor der Aufmacher des Lokalteils in schreiend roten Lettern »Ein Rätsel«. In dem Artikel war der Zeitpunkt des Leichenfundes nicht richtig angegeben, Brunettis Name falsch geschrieben, und das Foto von der Landungstreppe stimmte auch nicht. Beim Alter des Mädchens war von einer Fünf jährigen die Rede, während die überregionalen Zeitungen wahlweise von zwölf und neun Jahren sprachen. Die Obduktion sollte angeblich noch an diesem Tag stattfinden, und die Polizei bat die Bevölkerung um Hinweise auf die Identität eines Kindes mit dunklen Haaren und Augen. Das Telefon klingelte, und Brunetti meldete sich mit Namen. »Ah, Guido«, hörte er seine Schwiegermutter sagen. »Seit wir aus den Besetzten Gebieten zurück sind, hatte ich vor, dich anzurufen! Aber hier war so viel zu tun, und dann kamen Chiara und Raffi zum Essen, und ich hatte so viel Spaß mit ihnen, dass es mir glatt entfallen ist. Dabei hätte der Besuch der Kinder mich ja wahrhaftig an dich erinnern sollen, nicht wahr?«
    »Ich dachte, ihr wart in Palermo.« Ungeachtet

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