Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume
haben? Allerdings wusste er ja noch gar nicht, worum es bei diesem Projekt ging und ob Scarpa nicht womöglich vorhatte, es in den Sand zu setzen. »Ist diese Spezialeinheit als europäisches Unternehmen geplant?«, fragte er.
»Selbstverständlich«, antwortete Patta. »Aber unsere Visionen gehen über Europas Grenzen hinaus: globale Ideen, globale Kooperationen. Es ist höchste Zeit, dass unsere verschlafene Stadt den Anschluss an die europäische Liga findet, meinen Sie nicht auch?«
»Zweifellos.« Brunetti setzte sein bestes Lächeln auf. Wie hieß es doch einmal so schön: der Damm zum Festland sei eine gute Sache, weil ohne ihn Europa abgeschnitten wäre. »Die Finanzierung wird demnach von der EU bestritten?«, fragte er.
»Aber sicher«, erwiderte Patta nicht ohne Stolz. »Das ist eine der Prämien, die ich von der Konferenz mitgebracht habe.« Beifall heischend sah er Brunetti an.
Diesmal war Brunettis Lächeln echt, ein Lächeln, wie es sich einstellt, wenn ein Problem gelöst ist. Europäisches Geld, Regierungszuschüsse, der Goldregen aus den Tresoren des großzügigen und erstaunlich desinteressierten Brüsseler Parlaments, die sorglose Freigebigkeit der Bürokraten.
»Wie ungemein klug«, lobte Brunetti den Schachzug des Tenente. »Und ich bin sicher, Alvise wird sich als idealer Kandidat erweisen.«
Pattas Lächeln wurde, wenn möglich, noch breiter. »Das werde ich dem Tenente ausrichten«, versprach er.
Brunettis Lächeln hätte nicht wohlwollender sein können, wäre es echt gewesen.
12
S ignorina Elettra war völlig bestürzt, als sie von Alvises Ernennung hörte. Und als die Nachricht in den nächsten Tagen in der Questura die Runde machte, reagierten eigentlich alle so wie sie. Alvise als Leiter einer Spezialeinheit, Alvise als Leiter einer Spezialeinheit: Wer immer davon erfuhr, musste es ebenso zwanghaft wiederholen wie jener Knabe, dem als Erstem König Midas' Eselsohren aufgefallen waren. Doch eine Woche verging und dann noch eine, ohne dass Näheres über die geplante Spezialeinheit durchgesickert wäre. Trotzdem verfolgte die Belegschaft atemlos vor Spannung, wie Alvise zögerlich die ersten Sprossen der Karriereleiter erklomm.
Der Sergente wurde häufig zusammen mit Tenente Scarpa gesehen, und Kollegen hörten, wie er seinen Vorgesetzten duzte, eine Vertraulichkeit, die sonst keinem Mitglied der uniformierten Truppe gestattet und von deren Seite auch nicht erwünscht war. Der sonst so redselige Alvise war sehr zurückhaltend, was seine neuen Aufgaben anging; über Sinn oder Zweck der Spezialeinheit konnte oder wollte er nichts verlauten lassen. Er und Scarpa verbrachten viel Zeit im winzigen Büro des Tenente, wo man sie Akten wälzen sah, während Scarpa nicht selten gleichzeitig telefonierte. Zurückhaltung und Diskretion waren zwei Eigenschaften, die man Alvise von Haus aus nicht zugeschrieben hätte, und doch bestimmten sie alsbald sein Verhalten.
Allein, der Reiz des Neuen hielt nie lange an in der Questura, und so dauerte es auch diesmal nur ein paar Tage, bis kaum mehr jemand Alvises Tun und Treiben Beachtung schenkte. Brunetti indes litt Tantalusqualen bei dem Gedanken an die Gelder aus Brüssel. Da Scarpa das Projekt überwachte, würde er auch über die Verwendung der Subventionen entscheiden, und Brunetti hätte gar zu gern gewusst, in welche Kanäle der Geldsegen fließen sollte.
Berlin hatte bei Patta offenbar irgendeine verborgene Schleuse geöffnet; jedenfalls quoll plötzlich eine Flut von Memos, Mahnungen, Vermerken und Anregungen aus seinem Büro. Umgekehrt traten die von ihm angeforderten Statistiken über Verbrechensraten und Täterprofile ganz neue Protokolllawinen los, und da Patta ein Mann der alten Schule war, wurde nichts davon per Mail abgewickelt, sondern Berge von Papier wälzten sich treppauf und treppab, wanderten in die Büros der Questura hinein und wieder hinaus. Bis der Nachrichtenstrom auf einmal so plötzlich versiegte, wie er losgebrochen war, und alles wieder seinen gewohnten Gang ging. Einzig Alvise behielt den Sonderstatus als Kopf seiner Ein-Mann-Spezialeinheit.
Über alledem hatte Brunetti Padre Antonins Bitte völlig vergessen. Nicht einmal als er und Paola eines Abends bei ihren Eltern, die am nächsten Tag nach Palermo reisen wollten, zum Essen eingeladen waren, dachte er daran, sich bei der Contessa zu erkundigen, ob sie inzwischen etwas in Erfahrung gebracht habe. Und sie bot von sich aus auch keine Informationen an. Am Morgen
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