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Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume

Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume

Titel: Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Gesicht, als sei ihr der Gedanke, Kinder könnten Freunde haben, noch nie gekommen. »Ja, wahrscheinlich schon. Sie machen miteinander Hausaufgaben oder was immer junge Leute zusammen tun.«
    Als Vater hatte Brunetti so seine Vorstellungen davon, was junge Leute anstellten, wenn sie sich gegenseitig zu Hause besuchten; als Polizist konnte er sich noch ganz andere Dinge ausmalen.
    »Verstehe«, sagte er und erhob sich, gefolgt von Vianello. Woraufhin auch Signora Vivarini hastig aufsprang.
    »Wären Sie so freundlich, uns zu zeigen, wo Sie Ring und Uhr zuletzt gesehen haben, Signora?«, bat Brunetti.
    »Aber das ist unser Schlafzimmer!«, wehrte sie sich, was Brunetti für sie einnahm. Er gab Vianello einen Wink, und der Inspektor nahm wieder auf dem Sofa Platz.
    Das schien Signora Vivarini aus irgendeinem Grund zu beruhigen; jedenfalls führte sie Brunetti ohne weitere Einwände zurück auf den Flur und von dort in das Zimmer gegenüber. Sie trat als Erste ein, ließ aber die Tür für ihn offen.
    Der Raum hatte die gleiche behagliche Ausstrahlung wie das Arbeitszimmer. Am Fußende des großen Doppelbetts lag ein alter, verblichener Täbris, der an einer Ecke schon ganz abgetreten war. Vor den Fenstern an der Wand gegenüber waren die grauen Leinenvorhänge zurückgezogen und gaben den Blick frei auf das Gebäude jenseits des Kanals. In den prall gefüllten Bücherregalen zwischen den Fenstern waren über jeder Reihe noch etliche Bände quer hineingezwängt.
    Das letzte, bodenlange Fenster rechter Hand führte auf eine Dachterrasse, eingefasst von einem niedrigen Mäuerchen und gerade einmal groß genug für die beiden Stühle, die Brunetti draußen sah. »Was für ein schönes Leseplätzchen für den Abend«, bemerkte Brunetti und wies auf die Glastür.
    Da lächelte sie zum ersten Mal ungekünstelt und hatte auf einmal kein Durchschnittsgesicht mehr. »Ja, Giorgio und ich sitzen oft dort draußen.« Dann fragte sie: »Lesen Sie gern, Commissario?«
    »Sehr gern sogar, wenn ich Zeit habe«, antwortete Brunetti. Heutzutage konnte man die Leute nicht mehr fragen, wen sie wählten; nach der Religionszugehörigkeit brauchte man sich in einem katholischen Land kaum zu erkundigen; das Sexualverhalten anzusprechen war unhöflich, und Ernährungsfragen diskutierte man in der Regel nur beim Essen. Um etwas Persönliches in Erfahrung zu bringen, blieb womöglich bloß noch die Frage, ob jemand las oder nicht und wenn ja, was. Wenngleich es verlockend gewesen wäre, diesen Gedankengang weiterzuverfolgen, besann sich Brunetti auf den Grund seines Besuches: »Würden Sie mir zeigen, wo sich die Uhr und der Ring Ihres Gatten befanden, Signora?«
    Sie zeigte auf eine niedrige Nussbaumkommode mit vier geräumigen Schubfächern, die aussahen, als seien sie schwer zu öffnen. Im Nähertreten erblickte Brunetti als Erstes ein gerahmtes Hochzeitsfoto. Wiewohl über zwanzig Jahre jünger und trotz des Brautkleides hatte Orsola Vivarini auch damals schon ganz und gar durchschnittlich ausgesehen. Aber der Mann neben ihr mit dem glückstrahlenden Gesicht war ungemein attraktiv. Rechts neben dem Bild stand eine Porzellanschale mit einem grellbunten, tanzenden Bauernpaar in der Mitte. »Die stammt noch von meiner Mutter«, sagte Signora Vivarini, wie um Qualität und Farben zu entschuldigen. In der Schale lagen zwei einzelne Schlüssel, eine Nagelschere, ein paar Muscheln und ein Fahrscheinheftchen fürs Vaporetto.
    Eine Weile betrachtete Orsola Vivarini die Gegenstände in der Schale. Dann schweifte ihr Blick durchs Zimmer, hinaus auf die Terrasse und wieder zurück zu der Porzellanschale. Mit einem Finger schob sie behutsam die Vaporetto-Tickets beiseite und drehte zwei der Muscheln um. »Da waren«, sagte sie, »noch ein kleiner Granatring und ein Paar Manschettenknöpfe, mit Lapislazuli besetzt. Die sind auch weg.« »Wertvolle Stücke?«, fragte Brunetti.
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Der Granat war nicht mal echt: bloß ein Stück gefärbtes Glas. Aber ich mochte den Ring.« Und nach einer Pause setzte sie hinzu: »Die Manschettenknöpfe waren aus Silber.«
    Brunetti nickte. Er hätte unmöglich sagen können, was sich im Augenblick gerade alles auf der Frisierkommode in seinem und Paolas Schlafzimmer befand. Der Smaragdring, den Paolas Vater ihr zum Examen geschenkt hatte, lag oft dort, ebenso wie ihre IWC-Armbanduhr, aber Brunetti wusste beim besten Willen nicht, wann er sie zuletzt an diesem Platz gesehen hatte. »Fehlt sonst

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