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Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume

Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume

Titel: Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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sie die ihr so verhassten Frömmeleien nachzuäffen pflegte -»gegen den internationalen Kommunismus. Um zu verhindern, dass die Kommunisten nach dem Krieg womöglich mit an die Regierung gekommen wären, hetzte man uns die Mafia auf den Hals, und nun werden wir sie nicht mehr los.«
    In seiner Eigenschaft als Gesetzeshüter wäre es Brunettis Pflicht gewesen, ihr zu widersprechen und zu beteuern, dass die Polizei im Verein mit den übrigen, von der gegenwärtigen Regierung straff und gewissenhaft geführten Staatsorganen große Fortschritte mache in ihrem Kampf gegen die Mafia. Stattdessen erkundigte er sich, was es zum Nachtisch gab.

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    E inen ganzen Tag lang war Brunetti damit beschäftigt, einen Bericht über das Kriminalitätsaufkommen im Veneto zu erstellen. Patta benötigte das Material für einen Vortrag, den er in zwei Monaten auf einer Konferenz in Rom halten sollte. Da er die Recherchen nicht auf Signorina Elettra oder einen seiner Kollegen abwälzen wollte, saß Brunetti stundenlang über Polizeiakten aus ganz Venetien, die er dann noch mit den verfügbaren Daten aus anderen Provinzen und Ländern verglich.
    Während er die Statistiken durchforschte, stieß Brunetti immer wieder auf zingari, Roma, Sinti, nomadi. Bei Delikten wie Raub, Einbruch und Diebstahl waren unter Angehörigen dieser Gruppen die meisten Festnahmen verzeichnet. Und auch wenn Kinder in den Berichten nicht aufgeführt wurden, ließ sich die häufig wiederkehrende Begründung für den Einsatz von Dienstfahrzeugen auf dem Festland leicht entschlüsseln: »Kind an Vormund überstellt«, »Minderjährige ohne Begleitung eines gesetzlichen Vertreters in Obhut der Eltern überführt«.
    Brunetti stieß auf den Fall eines Jugendlichen, der mehrfach verhaftet worden war, sich aber mit der Behauptung, erst dreizehn zu sein, immer wieder herausgewunden hatte. Da er keine Papiere vorweisen konnte, wurde schließlich von Gerichts wegen eine Ganzkörper-Röntgenaufnahme angeordnet, um sein Alter anhand der Knochenstruktur zu ermitteln.
    Jahrhundertelang blieben die sogenannten fahrenden Völker fast völlig isoliert von den Gesellschaften, in deren Mitte sie lebten. Eine Ausgrenzung, die sie im letzten Krieg teuer zu stehen kam, als viele von ihnen in den Vernichtungslagern der Nazis ermordet wurden.
    Ursprünglich verdienten sich die Fahrenden ihr täglich Brot als Pferdehändler und Zureiter, als Kesselflicker oder Schmucksteinfasser. Doch auch als diese Gewerbe im Zuge der Modernisierung langsam ausstarben, lebten sie weiter von den Gadsche, den Fremden, denen gegenüber sie offenbar keinen großen Unterschied machten zwischen Handeltreiben und Diebstahl.
    Je mehr Statistiken aus anderen Regionen Brunetti zusammentrug, desto deutlicher trat ein übereinstimmendes Muster zutage: Raub- und Straßendelikte, Einbruch und Diebstahl wurden überwiegend von Angehörigen nicht sesshafter Gruppen verübt. Nur vereinzelt waren sie auch in Fälle von Kinderprostitution verwickelt - darunter einen besonders widerlichen in Rom, wo offenbar irgendwelche Clanvorstände pädophilen Männern kleine Mädchen und Jungen zugeführt hatten. Unwillkürlich dachte Brunetti an Rizzardis Obduktionsbericht.
    Und obwohl er sich pflichtgemäß wieder über die allgemeine Verbrechensstatistik beugte, raubte ihm dieser besondere Fall jegliche Konzentration. Mehr als einmal war das Gesicht des toten Mädchens ihm schon im Traum erschienen. Und auch im Wachen sah er sie unvermutet vor sich: bald so, wie er sie aufgefunden hatte, bald so wie auf den Fotos, die er vor dem Wohnwagen abgelegt hatte. Er versuchte mit Gewalt, diese Bilder zu verdrängen und sich wieder auf seine vergleichenden Tabellen zu konzentrieren, aber als ihm einfach keine venezianische Entsprechung zum Autodiebstahl auf dem Festland einfallen wollte, gab er sich geschlagen.
    »Erkundigen Sie sich, ob man etwas für die Mutter tun kann«, hatte Patta ihm aufgetragen. Brunetti wusste nichts, womit man eine Mutter, deren elf jähriges Kind ertrunken war, hätte trösten können, und er nahm an, dass der Vice-Questore an seiner Stelle ebenso ratlos gewesen wäre. Aber Patta hatte es angeordnet, und Brunetti würde seine Weisung befolgen. Diesmal hatte man ihm einen Wagen der Squadra Mobile zur Verfügung gestellt. Der Fahrer, ein großer, blasser Mann in den Vierzigern, wirkte offen und unkompliziert. Der venezianische Dialekt, in dem Brunetti ihn angeredet hatte, war ihm ebenso geläufig wie das Fahrtziel.

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