Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume
Zuständigkeitsbereich ist das hier?« »Provinz Treviso, Signore.« »Das trifft sich gut!«
über den Begriff »Nettowert« hatte Brunetti sich schon oft: Gedanken gemacht, vor allem, wenn er herangezogen wurde, um jemandes Vermögen zu taxieren. Dazu gehörten dann Kapitalanlagen und Bankkonten sowie Grund- und Immobilienbesitz nebst beweglicher Habe, also nur das, was man sehen, anfassen, zählen konnte. Unberücksichtigt blieben dagegen immaterielle Güter wie das Wohlwollen oder die Missgunst, die einen Menschen durchs Leben begleiteten; die Liebe, die er gab oder empfing, oder - und darum ging es hier - die Gefälligkeiten, die man ihm schuldete.
Brunetti, dessen finanzieller Nettowert eher bescheiden ausfiel, konnte zum Ausgleich auf jede Menge anderer Quellen zurückgreifen: in diesem Fall einen ehemaligen Kommilitonen, der inzwischen Vice-Questore von Treviso war und auf dessen Weisung hin eine halbe Stunde später drei Abschleppwagen vor dem Roma-Lager hielten.
Brunettis Fahrer öffnete ihnen das Tor, und der Konvoi rollte aufs Gelände. Vom Beifahrersitz des vordersten Lasters kletterte ein uniformierter Beamter. Ohne sich groß mit Brunetti und seinem Fahrer aufzuhalten, nahm er sich das erste der drei Autos vor, die Brunetti angezeigt hatte. Er tippte das Kennzeichen in einen Taschencomputer, wartete auf die Rückmeldung im Display, tippte noch ein paar Angaben ein, und schon spuckte das Gerät einen kleinen bedruckten Papierstreifen aus, den der Beamte unter den Scheibenwischer des Fahrzeugs klemmte. Nachdem er auch die beiden anderen erfasst hatte, gab er den Fahrern der drei Trucks ein Zeichen.
Mit einer Präzision, die Brunetti nur bewundern konnte, wendeten die Männer, und jeder rangierte seinen Truck rückwärts ans Heck eines der drei Autos. Die routinierten Handgriffe, mit denen sie die Pkws an ihren Abschleppkränen befestigten, erinnerten an die synchronisierten Bewegungen, mit denen die drei Roma sich von der Motorhaube abgestoßen hatten. Die Fahrer schwangen sich wieder in ihre Kabinen; der uniformierte Beamte kletterte, nachdem er vor Brunetti salutiert hatte, in den vordersten Laster und schlug die Tür hinter sich zu. Unter lautem Motorengeheul der Trucks schwebten die Autohecks an den Abschleppkränen in die Luft empor. Der ganze Konvoi rollte durchs Tor, hielt draußen an, und der uniformierte Beamte kam zurück, um das Tor zu schließen. Die gesamte Operation hatte keine fünf Minuten gedauert.
Brunettis Fahrer stieg wieder ins Auto, doch Brunetti blieb abwartend stehen. Nach wenigen Minuten öffnete sich die Tür eines Wohnwagens, und heraus kam der Mann, der bei Brunettis erstem Besuch im Lager als Wortführer aufgetreten war. Brunetti ging ein paar Schritte auf ihn zu, Tanovic kam ihm entgegen, machte aber in etwa einem Meter Entfernung halt.
»Warum Sie das machen?«, fauchte er wütend und wies mit einer ruckartigen Kopfbewegung auf die drei leeren Stellplätze. »Um Ihre Leute vor Gefahren zu bewahren«, antwortete Brunetti. Bevor der Mann etwas entgegnen konnte, fügte er hinzu: »Das Gesetz zu brechen kann gefährlich sein.« Tanovic plusterte sich entrüstet auf: »Welche Gesetz wir brechen?«
»So ein Auto muss einen gültigen Versicherungsschutz haben«, erklärte Brunetti. »Und Sicherheitsgurte und intakte Scheinwerfer. Wer das nicht hat, verstößt gegen die polizeilichen Vorschriften.«
»Autos wegnehmen nix gut.« Wieder machte Tanovic die ruckhafte Kopfbewegung.
»Wieso nicht?«, versetzte Brunetti. »Immerhin stehen Sie jetzt hier und reden mit mir.«
Tanovic machte nur große Augen, wie wenn er zwar um die Macht pokern, sich aber nicht in die Karten schauen lassen wollte. »Ich andere Mal kommen«, sagte er. »Ich jetzt viel zu tun.«
»Ich habe auch keine Zeit zu verschenken!«, gab Brunetti schroff zurück. »Wenn Sie mir meine Zeit stehlen, dann ziehe ich andere Saiten auf.«
Das mochte Tanovic offenbar doch nicht riskieren. »Was Sie wollen von uns?«
»Ich möchte Signor und Signora Rocich sprechen.« Tanovic starrte Brunetti an, als sei der ihm die Antwort schuldig geblieben.
Brunetti, der den blauen Mercedes mit dem verbeulten Kotflügel gleich bei ihrer Ankunft gesehen hatte, wartete ein paar Minuten, dann seufzte er und ging zurück zum Polizeiauto. So laut, dass auch Tanovic es hören musste, bat er den Fahrer, zu dessen Fenster er sich hinuntergebeugt hatte: »Rufen Sie bitte noch mal in Treviso an?«
»Halt, halt!«, hörte er Tanovic
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