Brunetti 18 - Schöner Schein
verblüffter reagieren können. Und gekränkter.
Er erhob sich halb, sank dann wieder auf den Stuhl und starrte Brunetti an. Plötzlich lief sein Gesicht rot an, ob vor Verlegenheit oder Wut war Brunetti egal. Schließlich sagte Guarino: »Es gibt doch bestimmt jemanden, den wir beide kennen. Wie wär's: Sie rufen ihn an, und ich rede mit ihm?«
»Tiere, Pflanzen oder Mineralien?«, fragte Brunetti. »Wie bitte?« »Das ist ein Spiel, das meine Kinder früher gespielt haben. An was hatten Sie gedacht, wen wir anrufen sollen: einen Priester, einen Arzt, einen Sozialarbeiter?«
»Einen Anwalt?«
»Dem ich vertraue?«, fragte Brunetti ungläubig. »Einen Journalisten?«
Nach längerem Nachdenken meinte Brunetti: »Da gibt es ein paar.«
»Gut, dann wollen wir sehen, ob wir einen finden, den wir beide kennen.«
»Der uns beiden vertraut?« »Ja.«
»Und Sie glauben, das würde mir reichen?«, fragte Brunetti skeptisch.
»Das käme wohl auf den Journalisten an«, sagte Guarino ruhig.
Nachdem sie ein paar Namen durchgegangen waren, stellten sie fest, dass sie beide Beppe Avisani kannten und trauten, einen Enthüllungsjournalisten in Rom.
»Gestatten Sie, dass ich mit ihm spreche«, sagte Guarino, kam um den Schreibtisch herum und stellte sich neben Brunetti.
Brunetti nahm sein Bürotelefon und wählte Avisanis Nummer. Dann drückte er den Knopf der Freisprecheinrichtung.
Es läutete viermal, dann meldete sich der Journalist mit seinem Namen.
»Beppe, ciao, ich bin's, Filippo«, sagte Guarino.
»Großer Gott. Ist die Republik in Gefahr, und es ist an mir, sie zu retten, indem ich deine Fragen beantworte?«, fragte der Journalist betont ernst. Dann sehr herzlich: »Wie geht's dir, Filippo? Ich frage nicht, was du machst, sondern nur, wie es dir geht?«
»Gut. Und dir?«
»Den Umständen entsprechend«, sagte Avisani; seine Stimme hatte etwas Verzweifeltes, wie Brunetti es bei ihm schon öfter gehört hatte. Dann fuhr er munterer fort: »Du rufst nie an, ohne etwas zu wollen, also verschwende nicht unsere Zeit und sag mir, worum es geht.« Die Worte waren grob, der Tonfall nicht.
»Ich bin hier bei jemandem, der dich kennt«, sagte Guarino, »und ich bitte dich, ihm zu sagen, dass ich vertrauenswürdig bin.«
»Das ist zu viel der Ehre«, sagte Avisani mit neckischer Bescheidenheit. Sie hörten Papier rascheln, dann kam wieder seine Stimme aus dem Lautsprecher: »Ciao, Guido. Mein Telefon hat mir verraten, dass der Anruf aus Venedig kommt, und mein Notizbuch sagt mir, dass dies die Nummer der Questura ist, und du bist weiß Gott der Einzige dort, der mir vertrauen würde.«
Brunetti sagte: »Darf ich zu hoffen wagen, dass ich auch der Einzige bin, dem du hier vertraust?«
Avisani lachte. »Ihr beide glaubt das vielleicht nicht, aber ich hatte schon seltsamere Anrufe.«
»Also?«, fragte Brunetti, um Zeit zu sparen.
»Vertrau ihm«, antwortete der Journalist, ohne zu zögern und ohne ein Wort der Erklärung. »Ich kenne Filippo seit langer Zeit, und man kann ihm vertrauen.«
»Das ist alles?«, fragte Brunetti.
»Das ist genug«, meinte Avisani und legte auf. Guarino ging zu seinem Stuhl zurück.
»Ist Ihnen klar, was mit diesem Anruf auch noch bewiesen wurde?«, fragte Brunetti.
»Ja, ich weiß«, sagte Guarino, »dass ich Ihnen trauen kann.« Er nickte, schien diese neue Information zu verdauen und fuhr dann sachlicher fort: »Meine Einheit befasst sich mit organisierter Kriminalität, insbesondere mit ihrer Ausbreitung nach Norden.« Auch wenn Guarino jetzt ernsthaft sprach und vielleicht endlich die Wahrheit sagte, blieb Brunetti auf der Hut. Guarino nahm beide Hände vors Gesicht, wie um sich reinzuwaschen. Brunetti dachte an Waschbären, die ständig etwas wegzuwischen versuchen. Schwer zu durchschauende Viecher, diese Waschbären.
»Weil das Problem so facettenreich ist, hat man entschieden, sich seiner Lösung durch Anwendung neuer Technologien zu nähern.«
Brunetti hob mahnend eine Hand. »Wir sind hier nicht auf einer Konferenz, Filippo, Sie können sich ganz normal ausdrücken.«
Guarino lachte kurz auf, es klang nicht besonders angenehm. »Nachdem ich sieben Jahre an meinem jetzigen Arbeitsplatz bin, weiß ich nicht, ob ich das noch kann.«
»Versuchen Sie es, Filippo, versuchen Sie es. Könnte Ihnen gut bekommen.«
Als wolle er die Erinnerung an alles bisher Gesagte beiseiteschieben, richtete Guarino sich auf und begann zum dritten Mal. »Manche von uns versuchen den Vormarsch nach
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