Brunetti 18 - Schöner Schein
Norden aufzuhalten. Aber das ist wohl aussichtslos, denke ich.« Er zuckte mit den Schultern. »Meine Einheit versucht nur, sie von gewissen Dingen abzuhalten, wenn sie einmal hier sind.«
Der Knackpunkt dieses Besuchs, erkannte Brunetti, waren eben diese »gewissen Dinge«, über die er immer noch nichts Näheres wusste. »Dass sie zum Beispiel irgendwelche verbotenen Dinge transportieren?«, fragte er.
Brunetti beobachtete, wie der andere mit seiner Zurückhaltung kämpfte, dachte aber nicht daran, ihn zu ermuntern. Plötzlich, als sei er es leid, mit Brunetti Katz und Maus zu spielen, sagte Guarino: »Transporte, ja, aber keine Schmuggelware. Sondern Müll.«
Brunetti legte seine Füße auf die Schublade und lehnte sich entspannt in seinem Stuhl zurück. Er betrachtete eine Zeitlang die Türen seines armadio und fragte schließlich: »Dahinter steckt die Camorra, richtig?«
»Im Süden auf jeden Fall.«
»Und hier?«
»Noch nicht durchgehend, aber zusehends. So schlimm wie in Neapel ist es noch nicht.«
Brunetti dachte an die Geschichten aus dieser geplagten Stadt, die um die Weihnachtszeit in der Presse aufgetaucht waren und dann nicht mehr hatten weichen wollen: Berge von Müll, der nicht abgeholt wurde, in manchen Straßen einige Meter hoch. Wer hatte nicht verfolgt, wie verzweifelte Bürger nicht nur die stinkenden Müllhaufen, sondern symbolisch auch ihren Bürgermeister verbrannt hatten? Und wer war nicht entsetzt gewesen, als mitten in Friedenszeiten Soldaten hingeschickt wurden, um die Ordnung wiederherzustellen?
»Was kommt als Nächstes?«, fragte Brunetti. »UN-Friedenstruppen?«
»Es hätte schlimmer kommen können«, sagte Guarino. Und dann wütend: »Es ist schlimmer gekommen.«
Da die Ermittlungen gegen die Ökomafia in die Zuständigkeit der Carabinieri fielen, hatte Brunetti immer nur als Bürger auf den Skandal reagiert, als einer der hilflosen Millionen, die in den Nachrichten mit ansehen mussten, wie auf den Straßen der Müll vor sich hin brannte und der Umweltminister die Bewohner von Neapel tadelte, weil sie keine Mülltrennung betrieben, während der Bürgermeister die Umweltsituation dadurch verbesserte, dass er das Rauchen in öffentlichen Parks verbot.
»Und damit hatte Ranzato zu tun?«, fragte Brunetti.
»Ja«, antwortete Guarino. »Aber nicht mit den Müllsäcken auf den Straßen von Neapel.« »Womit dann?«
Guarino war still geworden, als sei sein nervöses Gebaren nur ein Symptom seiner Zurückhaltung gegenüber Brunetti gewesen. »Einige von Ranzatos Wagen fuhren nach Deutschland und Frankreich, holten dort Fracht ab, brachten sie in den Süden und kamen mit Obst und Gemüse zurück.« Sofort kam wieder der alte Guarino zum Vorschein: »Das hätte ich Ihnen nicht sagen dürfen.«
Brunetti bemerkte ungerührt: »Vermutlich waren sie nicht in Paris oder Berlin, um dort Müllsäcke von den Straßen aufzusammeln.«
Guarino schüttelte den Kopf.
»Sondern Industrieabfälle, Chemie oder ...«, fing Brunetti an.
»... oder medizinische, oft radioaktive Abfälle«, ergänzte Guarino.
»Und wo wurden die hingebracht?« »Einiges davon zu verschiedenen Häfen und von dort in jedes Dritte-Welt-Land, das sie nehmen wollte.« »Und der Rest?«
Guarino setzte sich kerzengerade auf, bevor er antwortete: »Türmt sich auf den Straßen von Neapel. Die Deponien und Verbrennungsanlagen da unten sind voll ausgelastet, weil man nur noch das entsorgt, was aus dem Norden angeliefert wird. Nicht nur aus der Lombardei und dem Veneto, sondern von sämtlichen Fabriken, die dafür bezahlen, dass man ihnen ihr Zeug abnimmt, ohne Fragen zu stellen.«
»Wie viele Transporte dieser Art hat Ranzato gemacht?«
»Wie gesagt, er hat es mit der Buchhaltung nicht sehr genau genommen.«
»Und Sie konnten ihn nicht zu einer Antwort...«, fing Brunetti an, scheute aber vor dem Wort »zwingen« zurück und entschied sich für: »... ermutigen?« »Nein.«
Brunetti blieb still. Dafür sagte Guarino: »Bei einem unserer letzten Gespräche wünschte er sich geradezu, ich würde ihn festnehmen, damit er endlich aus der Sache herauskäme.«
»Als die Zeitungen voll davon waren?«
»Ja.«
»Verstehe.«
Guarinos Stimme wurde milder. »Inzwischen waren wir, nun ja, nicht direkt Freunde, aber doch so etwas Ähnliches wie Freunde, und er war mir gegenüber ganz offen. Anfangs hatte er Angst vor mir, aber am Ende hatte er Angst vor ihnen, Angst vor dem, was sie mit ihm machen würden, wenn sie erführen,
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