Brunetti 18 - Schöner Schein
dass er mit uns redete.«
»Offenbar haben sie es ja erfahren.«
War es der Inhalt oder der Tonfall seiner Bemerkung? Guarino sah Brunetti scharf an. »Es sei denn, es war ein Raubüberfall«, sagte er trocken und gab damit zu verstehen, dass nur ein Anschein von Vertrauen zwischen ihnen bestand.
»Selbstverständli ch.«
Brunetti, von Natur aus eher ein einfühlsamer Mensch, hatte wenig Erbarmen bei später Reue. Die meisten - so sehr sie das abstreiten mögen - ahnten schließlich von vorneherein, worauf sie sich einließen. »Er muss von Anfang an gewusst haben, was das für Leute waren«, sagte Brunetti. »Oder zumindest, worum es ging.« Ungeachtet aller Beteuerungen Guarinos musste Ranzato gedämmert haben, was mit seinen Fahrzeugen transportiert wurde. Bei seinem schlechten Gewissen handelte es sich nur um Lippenbekenntnisse. Brunetti staunte immer wieder über die Bereitschaft der Leute, sich von einem reuigen Sünder einwickeln zu lassen.
»Das mag sein, aber davon hat er mir nichts gesagt«, antwortete der Maggiore; Brunetti musste daran denken, wie sehr er selbst die Leute schützte, die er zwang, als Informanten für ihn zu fungieren.
Guarino fuhr fort: »Er sagte, er wolle nicht mehr für sie arbeiten. Was ihn zu diesem Entschluss gebracht hatte, wollte er mir nicht verraten, aber ich spürte deutlich, wie beunruhigt er war. In diesem Zusammenhang bat er mich auch, ihn zu verhaften. Damit die Sache endlich ein Ende hatte.«
Brunetti verzichtete auf die Bemerkung, dass es dann ja auch wirklich ein Ende gehabt hatte. Und er wies auch nicht darauf hin, dass Gefahr für Leib und Leben schon so manchen auf den Pfad der Tugend zurückgeführt hat. Nur ein Einsiedler konnte nichts von der emergenza spazzatura mitbekommen haben, die in den letzten Wochen von Ranzatos Leben das Gesprächsthema der ganzen Nation gewesen war.
Wirkte Guarino verlegen? Oder irritierte ihn Brunettis Hartherzigkeit? Um die Unterhaltung in Gang zu halten, fragte Brunetti: »An welchem Tag genau haben Sie das letzte Mal mit ihm gesprochen?«
Der Maggiore rutschte zur Seite und zog ein kleines schwarzes Notizbuch hervor. Er schlug es auf, leckte an seinem rechten Zeigefinger und begann rasch zu blättern. »Am siebten Dezember. Ich erinnere mich daran, weil er sagte, seine Frau wolle, dass er am nächsten Tag mit ihr zur Messe gehe.« Plötzlich ließ er die Hand sinken und schlug sich mit dem Notizbuch auf den Oberschenkel. »Oddio«, flüsterte er.
Und dann wurde er blass. Er schloss die Augen und presste die Lippen zusammen. Brunetti dachte schon, er werde ohnmächtig. Oder würde in Tränen ausbrechen. »Was haben Sie, Filippo?«, fragte er zu ihm hinübergelehnt und kurz davor aufzuspringen.
Guarino klappte das Notizbuch zu. Er legte es auf sein Knie und starrte es an. »Jetzt erinnere ich mich. Er sagte, seine Frau heiße Immacolata und sie gehe immer am Achten zur Kirche, das sei ihr Namenstag.«
Brunetti hatte keine Ahnung, was daran so beunruhigend sein sollte; aber dann erklärte Guarino: »Er hat mir erzählt, das sei der einzige Tag im Jahr, an dem sie ihn bitte, sie zur Messe zu begleiten und die heilige Kommunion zu empfangen. Deshalb wolle er am nächsten Morgen vor der Messe zur Beichte gehen.« Guarino nahm das Notizbuch und schob es wieder in seine Tasche zurück.
»Hoffentlich hat er es getan«, entfuhr es Brunetti.
5
B eiden fehlten die Worte. Brunetti stand auf und trat ans Fenster; er wollte sich und auch Guarino eine Pause gönnen. Er würde Paola erzählen müssen, was er da eben gesagt hatte, wie ihm das, ohne nachzudenken, einfach so herausgerutscht war.
Guarino räusperte sich. Es herrschte eine stillschweigende Übereinkunft zwischen ihnen, über Ranzato und das, was er gewusst haben mochte, kein Wort mehr zu verlieren: »Wie gesagt: Weil er getötet wurde und weil der einzige Hinweis auf den Mann, für den er gearbeitet hat, nach San Marcuola führt, brauchen wir Ihre Hilfe. Ihr hier in Venedig seid die Einzigen, die uns sagen können, ob dort jemand lebt, der in... nun ja, in eine solche Sache verwickelt sein könnte.« Offenbar war er noch nicht fertig, also schwieg Brunetti weiter. Nach kurzer Pause fuhr Guarino fort: »Wir wissen nicht, nach wem wir suchen.«
»War es nur dieser eine Mann, für den Signor Ranzato gearbeitet hat?«, fragte Brunetti und drehte sich wieder zu Guarino um.
»Er war der Einzige, von dem er mir erzählt hat.«
»Und das ist nicht dasselbe?«
»Doch, ich denke
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