Brunetti 18 - Schöner Schein
ob er wirklich einen eigenen Computer beantragen sollte. Falls er einen bekam, konnte er dann noch von Signorina Elettra verlangen, dass sie für ihn das Unfindbare fand? Oder würde sie dann davon ausgehen, dass er die elementaren Dinge selbst ermittelte, zum Beispiel... irgendwelche Telefonnummern oder die Fahrpläne der Vaporetti? Und wenn er das erst einmal beherrschte, nahm sie vermutlich an, er könne auch an die Krankenakten von Verdächtigen herankommen oder Banküberweisungen kreuz und quer durch ein Gewirr von Nummernkonten verfolgen. Trotzdem, ein eigener Computer würde ihm nicht nur bei Recherchen helfen; er könnte auch online Zeitung lesen: aktuelle Ausgaben, ältere Ausgaben, alles, was er wollte. Aber was würde dann aus dem Gazzettino, aus dem Gefühl des Papiers in seiner Hand, aus dem trockenen Geruch, aus den schwarzen Streifen, die die Zeitung an der rechten Tasche aller seiner Jacketts hinterließ?
Sein Gewissen drängte ihm die Frage auf: Was würde aus dem schönen Stolz, den er jedes Mal empfand, wenn er auf dem Vaporetto seine Zeitung aufschlug und sich damit als Bürger dieser stillen Stadt zu erkennen gab?
Nur Venezianer lasen den Gazzettino. Il Giornale delle Serve, die Zeitung der Dienstmädchen. Na und? Die überregionalen Blätter waren auch nicht besser, voller Ungenauigkeiten und Satzfragmente und falsch beschrifteter Fotos.
Ausgerechnet in diesem Moment erschien Signorina Elettra in der Tür seines Büros. Er sah zu ihr hinüber und sagte: »Ich liebe den Gazzettino.«
»Versuchen Sie's mal mit dem Palazzo Boldü, Dottore«, empfahl sie ihm die psychiatrische Klinik der Stadt. »Etwas Ruhe könnte Ihnen guttun, aber Lesen auf keinen Fall.«
»Danke, Signorina«, sagte er höflich, um dann - nachdem er die ganze Nacht darüber nachgedacht hatte - gleich zur Sache zu kommen: »Ich hätte gern einen Computer hier in meinem Büro.«
Diesmal versuchte sie gar nicht erst, ihre Reaktion zu verbergen: »Sie?«, fragte sie. »Commissario«, schickte sie noch hinterher.
»Jawohl. So einen flachen, wie Sie einen haben.«
Diese Erklärung verschaffte ihr ein wenig Zeit, über sein Ansinnen nachzudenken. »Ich fürchte, die sind furchtbar teuer«, protestierte sie.
»Davon gehe ich aus«, antwortete er. »Aber es gibt bestimmt eine Möglichkeit, das aus dem Etat für Bürobedarf zu finanzieren.« Je länger er redete und darüber nachdachte, desto mehr wünschte er sich einen Computer, und zwar einen wie ihren, nicht so einen altersschwachen Kasten wie den, mit dem sich die Beamten unten begnügen mussten.
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Commissario, hätte ich gern ein paar Tage Zeit, darüber nachzudenken. Vielleicht finde ich eine Möglichkeit, das zu arrangieren.«
Brunetti hörte so etwas wie ein Auftrumpfen aus ihrem entgegenkommenden Tonfall heraus.
»Selbstverständlich«, sagte er mit breitem Lächeln. »Und was führt Sie hierher?«
»Es geht um Signor Cataldo«, sagte sie und hielt einen blauen Ordner hoch.
»Ah ja.« Er erhob sich halb von seinem Stuhl und winkte sie heran. »Was haben Sie gefunden?« Von seinen eigenen Rechercheversuchen verriet er nichts.
»Nun.« Sie trat näher, zog rasch ihren Rock glatt, setzte sich und legte die Akte ungeöffnet auf den Schreibtisch. »Er ist sehr wohlhabend, aber das wissen Sie bestimmt schon.« Brunetti nahm an, dass jeder in der Stadt das wusste, nickte ihr aber aufmunternd zu. »Er hat von seinem Vater ein Vermögen geerbt; als er starb, war Cataldo noch nicht mal vierzig. Das war vor gut dreißig Jahren, mitten in der Hochkonjunktur. Er hat das Geld für Investitionen genutzt.«
»In was?«, fragte er.
Sie zog die Mappe zu sich heran und schlug sie auf. »Er besitzt oben im Norden in der Nähe von Longarone eine Fabrik, dort werden Holzpaneele hergestellt. Anscheinend gibt es in Europa nur zwei Fabriken, die so etwas machen. Und eine Zementfabrik in derselben Gegend. Dort wird nach und nach ein ganzer Berg abgetragen und zu Zement verarbeitet. In Triest hat er eine Frachtschiffflotte; außerdem eine Speditionsfirma für nationale und internationale Transporte auf der Straße. Und ein Unternehmen, das Bulldozer und anderes schweres Gerät verkauft. Bagger. Kräne.« Als Brunetti schwieg, fügte sie hinzu: »Eigentlich habe ich nur eine Liste der Unternehmen, die er besitzt.
Mit deren Finanzen habe ich mich noch nicht näher beschäftigt.«
Brunetti hob die rechte Hand. »Nur wenn das nicht zu schwierig für Sie ist,
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