Brunetti 18 - Schöner Schein
dass Cataldo seinen Anwalt gefeuert hat, weil er sich mit dem seiner Frau getroffen hatte.«
»Ist das nicht üblich?«, fragte Brunetti. »Dass die Anwälte miteinander sprechen?«
»Eigentlich schon. Er hat nur gesagt, Cataldo habe sich schlecht benommen, ohne ins Detail zu gehen.«
»Verstehe.«
Er bemerkte, dass sie aufstehen wollte, und fragte: »Haben Sie auch etwas über seine Frau erfahren?«
Sah sie ihn neugierig an, bevor sie antwortete? »Nicht viel mehr als das, was ich Ihnen erzählt habe, Signore. Sie spielt in der Gesellschaft keine große Rolle, auch wenn sie natürlich sehr bekannt ist.« Dann fiel ihr noch ein: »Früher hat man sie für sehr schüchtern gehalten.«
Brunetti stutzte bei dieser Formulierung, sagte aber nur: »Verstehe.« Er warf einen Blick auf die Akte, ließ sie aber zugeklappt. Als Signorina Elettra sich erhob, sah er auf und sagte lächelnd: »Ich danke Ihnen.«
»Viel Vergnügen bei der Lektüre, Signore«, sagte sie, »auch wenn es nicht an die intellektuelle Strenge des Gazzettino heranreicht.« Und damit verschwand sie.
9
E r zwang sich, die Informationen über Cataldos Finanzen durchzugehen: die Unternehmen, die er besaß und führte, die Vorstände, denen er angehörte, die Aktien und Wertpapiere in seinen diversen Portfolios. Unterdessen gestattete er seinen Gedanken, zu träumen, wovon sie wollten, und das waren ganz andere Dinge als dieses langweilige Aktenzeug. Adressen von gekauften und verkauften Immobilien, offizielle Verkaufspreise, aufgenommene und abgezahlte Hypotheken, Zinsen und Dividenden. Es gab Leute, wusste Brunetti, die fanden solche Einzelheiten spannend. Was für eine deprimierende Vorstellung.
Er erinnerte sich, wie er als kleiner Junge Fangen gespielt hatte, seinen Freunden nachjagte und sie im Auge behielt, wenn sie in vertrauten und unvertrauten colli verschwanden. Nein, es war eher so wie in der Frühzeit seiner Laufbahn, wenn er der Spur eines Verdächtigen gefolgt war: eine Person im Auge behalten, während man so tat, als interessierte man sich für alles mögliche andere. So ging es ihm jetzt, als er sich durch diese kompakten Informationen arbeitete. Sein Gedächtnis registrierte mechanisch die Summen, die am Ende Cataldos Vermögen ergaben, und manches davon würde er später auch noch wissen; aber sein Jagdinstinkt richtete sich immer wieder und gegen seinen Willen auf Guarino und die Geschichte, die er ihm erzählt hatte. Und auf jene Dinge, die er ihm nicht erzählt hatte.
Er legte die Mappe beiseite und rief Avisani in Rom an.
Diesmal beschränkte Brunetti den Austausch von Höflichkeiten auf ein Minimum, und als es genug war, sagte er betont leutselig: »Dieser Freund von dir, mit dem wir gestern gesprochen haben - könntest du Kontakt mit ihm aufnehmen und ihn bitten, mich anzurufen?«
»Ach, entdecke ich da die ersten feinen Risse in der Aufrichtigkeit eurer Liebe zueinander?«, fragte der Journalist.
»Nein«, antwortete Brunetti lachend, »aber er hat mich um einen Gefallen gebeten, und jetzt höre ich, dass er bis Ende der Woche nicht im Büro ist. Ich muss aber noch einmal mit ihm reden, bevor ich tun kann, worum er mich gebeten hat.«
»Darin ist er gut«, räumte Avisani ein. »Worin?«
»Zu wenig Informationen rauszurücken.« Als Brunetti nicht darauf einging, sagte der Journalist: »Wahrscheinlich kann ich ihn erreichen. Ich werde ihn bitten, dich heute noch anzurufen.«
Brunetti sagte: »Ich warte darauf, dass du die Stimme senkst und geheimnisvoll flüsterst: ›Falls er kann.‹«
»Das versteht sich von selbst, oder?«, gab Avisani trocken zurück und legte auf.
Brunetti ging in die Bar am Ponte dei Greci und trank einen Kaffee, den er eigentlich nicht brauchte; damit er auch wirklich nichts davon hatte, tat er zu wenig Zucker hinein und kippte ihn runter. Dann bat er um ein Glas Mineralwasser, das er wegen des Wetters auch nicht brauchte, und ging verstimmt, weil er Guarino nicht erreichen konnte, ins Büro zurück.
Der Tote - Ranzato - musste diesen anderen Mann mehr als einmal getroffen haben, und doch sollte Brunetti glauben, dass Guarino ihn nie aufgefordert hatte, sich deutlicher zu der Beschreibung »gut gekleidet« zu äußern, und auch sonst nicht mehr über ihn in Erfahrung gebracht hatte? Wie hatten Ranzato und der andere miteinander kommuniziert, wenn sie die Transporte organisierten? Telepathisch? Und wie war die Bezahlung abgelaufen?
Und schließlich - warum verdiente gerade dieses
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