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Brunetti 18 - Schöner Schein

Brunetti 18 - Schöner Schein

Titel: Brunetti 18 - Schöner Schein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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fuhr er fort. »Man hat ein Foto geschickt und sich erkundigt, ob er hier war und mit uns gesprochen hat.«
    »Stimmt das wirklich?«, fragte sie.
    »Ja.« Die Wahrheit. Kurz und schmerzlos.
    »Das tut mir sehr leid«, brachte sie schließlich heraus.
    »Mir auch. Er schien ein anständiger Mensch zu sein, und Avisani hat sich für ihn verbürgt.«
    »Sie haben jemanden gebraucht, der sich für ihn verbürgt?«, fragte sie in einem Ton, als suche sie nach einem Ventil für ihren Zorn.
    »Ja. Schon, um ihm vertrauen zu können: Ich hatte keine Ahnung, in was er verwickelt war und was er von mir wollte.« Vielleicht irritiert von ihrem Verhalten, fügte er hinzu: »Ich weiß es immer noch nicht.«
    »Was soll das heißen?«
    »Das heißt, ich weiß nicht, ob die Geschichte, die er mir erzählt hat, wahr ist oder nicht, und das heißt, ich weiß nicht, warum der Mann, der hier angerufen hat, sich dafür interessiert, warum der Maggiore uns hier aufgesucht hat.«
    »Aber er ist tot?«
    »Ja.«
    »Danke, dass Sie mir das gesagt haben.« Brunetti machte sich auf die Suche nach Griffoni.

15
    D ie Schiffsbauwerften, die petrochemischen Anlagen und die zahlreichen anderen Fabriken in der Umgebung von Marghera hatten auf Brunetti seit seiner Kindheit eine eigenartige Faszination ausgeübt. Etwa zwei Jahre lang, von seinem sechsten Lebensjahr bis kurz nach seinem achten Geburtstag, hatte sein Vater dort als Lagerist in einer Fabrik gearbeitet, die Farben und Lösungsmittel herstellte. Brunetti erinnerte sich dieser Zeit als einer der ruhigsten und glücklichsten seiner Kindheit, als sein Vater einmal regelmäßig Arbeit hatte und stolz darauf war, seine Familie aus eigener Kraft ernähren zu können.
    Dann aber hatte es Streiks gegeben, und danach war sein Vater nicht wieder eingestellt worden. Damit änderte sich alles, zu Hause herrschte kein Frieden mehr, auch wenn sein Vater den Kontakt zu den ehemaligen Kollegen noch einige Jahre lang aufrechterhielt. Brunetti erinnerte sich noch an diese Männer und ihre Geschichten, die von ihnen selbst und ihrer Arbeit handelten, an ihren derben Humor, ihre Witze, ihre unendliche Geduld mit seinem launischen Vater. Sie alle waren im Lauf der Jahre an Krebs gestorben, wie so viele andere Arbeiter in den zahllosen neuen Fabriken, die am Rand der laguna mit ihren einladenden und so beklagenswert ungeschützten Gewässern aus dem Boden geschossen waren.
    Brunetti war seit Jahren nicht mehr in dem Industriegebiet gewesen, hatte es aber immer vor Augen gehabt: Die aus den Schloten wehenden Rauchfahnen grüßten jeden, der mit dem Boot in die Stadt kam, und die am höchsten aufsteigenden Schwaden waren manchmal sogar von Brunettis Terrasse aus zu sehen. Er staunte immer, wie weiß sie waren, vor allem nachts, wenn der Rauch so majestätisch vor dem samtenen Himmel emporquoll. Das sah so harmlos aus, so rein, und erinnerte Brunetti jedes Mal unweigerlich an Schnee, Erstkommunionkleider, Bräute. Gebeine.
    Jahrelange Bestrebungen, die Fabriken stillzulegen, waren immer wieder gescheitert, nicht selten am heftigen Widerstand der Arbeiter selbst, denen die Schließung das Leben gerettet oder zumindest verlängert hätte. Wenn ein Mann seine Familie nicht mehr ernähren kann - ist er dann noch ein Mann? Sein Vater hatte diese Frage verneint; Brunetti konnte erst jetzt begreifen, warum er so gedacht hatte.
    Im Auto, das sie am Piazzale Roma erwartete, unterrichtete er Griffoni von Guarinos Anruf und dem Telefonat, das sie jetzt nach Marghera führte. Nach einer Reihe von Manövern, die der Fahrer sinnvoll finden mochte, gelangten sie auf den Damm zum Festland und nahmen dort die Abfahrt zu den Fabriken; bis sie am Haupttor vorfuhren, war Griffoni auf dem Laufenden.
    Ein Uniformierter trat aus einem Wachhäuschen links vom Tor und hob eine Hand, um sie durchzuwinken, als sei der Anblick eines Polizeiautos für ihn etwas Alltägliches. Brunetti ließ den Fahrer anhalten und fragen, wo die anderen seien. Der Wachmann zeigte nach links, erklärte, er solle geradeaus fahren, über drei Brücken, und dann hinter einem roten Gebäude rechts einbiegen. Von dort aus würden sie die anderen Autos schon sehen.
    Der Fahrer hielt sich an die Anweisungen, und als sie hinter dem roten Gebäude, das allein an einer Kreuzung stand, abgebogen waren, erblickten sie eine Reihe von Fahrzeugen, unter anderem einen Krankenwagen mit kreisenden Blinklichtern; dahinter standen mehrere Leute, die ihnen den Rücken zuwandten.

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