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Brunetti 18 - Schöner Schein

Brunetti 18 - Schöner Schein

Titel: Brunetti 18 - Schöner Schein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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»Ja, ich denke schon«, sagte er und trat ein.
    Als sei das ihr Salon, wies sie mit einer Kopfbewegung auf einen Stuhl ihr gegenüber, und er nahm Platz. Sie klappte ihr Buch zu und legte es auf den Tisch, jedoch so, dass er nicht erkennen konnte, was es war.
    Sie hatte seinen Blick bemerkt. »Die Chronographia des Psellos«, sagte sie und legte eine Hand auf das Buch. Brunetti kannte den Titel und den Namen des Autors, mehr aber auch nicht. »Es handelt von Verfall«, erklärte sie.
    Es war spät, fast vier, und er sehnte sich nach Schlaf. Jetzt war nicht der Moment, sich über Bücher zu unterhalten. »Ich möchte mit Ihnen über die Ereignisse dieses Abends reden, wenn ich darf«, sagte er ernst.
    Sie bog den Kopf zur Seite, als wollte sie um ihn herumsehen. »Muss da nicht jemand mit einem Aufnahmegerät dabei sein, oder wenigstens ein Stenograph?«, fragte sie, um einen scherzhaften Ton bemüht.
    »Vermutlich, aber das kann noch warten. Ich möchte, dass Sie zuerst mit Ihrem Anwalt sprechen.«
    »Aber ist das nicht der Traum aller Polizisten, Commissario?«
    »Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, sagte er. Ihm ging die Geduld aus, und er war zu müde, das zu verbergen.
    »Eine Verdächtige, die bereit ist, ohne Aufnahmegerät und ohne Anwalt eine Aussage zu machen?«
    »Ich bin mir nicht sicher, wessen man Sie verdächtigt, Signora«, sagte er und spürte selbst, dass sein bewusst gleichgültiger Ton nicht sehr überzeugend war. »Und solange nichts aufgezeichnet oder gefilmt wird, hat Ihre Aussage nicht viel Wert, da Sie hinterher immer alles abstreiten können.« »Ich will aber unbedingt eine Aussage machen«, sagte sie. Sie war ernst geworden, ganz sachlich, wenn sich das auch nicht an ihrem Gesicht zeigte, nur an ihrer Stimme.
    »Dann wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie jetzt reden würden.«
    »Ich habe heute Nacht einen Mann getötet.«
    »Ich weiß. Ich habe Sie dabei gesehen, Signora.«
    »Wie interpretieren Sie, was da geschehen ist?«, fragte sie, als gehe es um einen Film, den sie beide gesehen hatten.
    »Darauf kommt es leider nicht an. Wichtig ist nur, was geschehen ist.«
    »Aber das haben Sie doch gesehen. Ich habe ihn erschossen, Commissario.«
    Eine Woge von Müdigkeit erfasste ihn. Er war an diesem Öltank hochgeklettert, er hatte Pucettis verbrannte Hand gesehen, die Haut in Fetzen, den blutigen Verband. Er war Augenzeuge gewesen, wie sie einen Mann erschossen hatte, und jetzt war er zu müde, um dieses Gefasel noch länger auszuhalten.
    »Ich habe auch beobachtet, dass Sie mit ihm gesprochen haben, und jedes Mal hat er dann etwas anderes getan.« »Was denn?«
    »Er hat zu uns hinaufgesehen, als hätten Sie ihn auf unsere Anwesenheit aufmerksam gemacht; dann haben Sie wieder etwas gesagt, und er hat Ihnen die Pistole gegeben; und als Sie die hatten, hat er mit einer Hand ausgeholt, als ob er Sie schlagen wollte.«
    »Er wollte mich schlagen, Commissario. Bitte zweifeln Sie keine Sekunde lang daran.« »Könnten Sie mir sagen, warum?« »Was meinen Sie?«
    »Signora, was ich meine oder nicht meine, spielt leider keine Rolle. Entscheidend ist, dass Commissario Griffoni und ich gesehen haben, dass er Sie schlagen wollte.«
    Zu seiner Verblüffung antwortete sie: »Schade, dass Sie es noch nicht gelesen haben.«
    »Ich bitte um Verzeihung?«
    »Die Fasti: ›Die Flucht des Königs‹. Ich weiß, das ist kein sehr bedeutendes Werk, aber einige andere Autoren fanden es recht interessant. Mir liegt daran, dem Buch die Aufmerksamkeit zu verschaffen, die es verdient.«
    »Signora!« Brunetti stieß wütend seinen Stuhl nach hinten und sprang auf. »Es ist vier Uhr morgens, und mir reicht es jetzt. Ich musste fast die ganze Nacht draußen in der Kälte verbringen, und entschuldigen Sie, wenn ich das sage, aber ich habe die Nase voll von Ihren literarischen Katz-und-Maus-Spielchen.« Er wollte nur noch nach Hause, ins Warme, ins Bett, schlafen, ohne Rauschen im Ohr und ohne sich von irgendjemandem provozierende Reden anhören zu müssen.
    Ihre Maske ließ keinerlei Reaktion erkennen. »Also gut«, seufzte sie. »Dann warte ich eben, und morgen früh rufe ich den Anwalt meines Mannes an.« Sie zog das Buch heran, sah ihm in die Augen und sagte: »Danke, dass Sie heute mit mir gesprochen haben, Commissario. Und danke auch, dass Sie die anderen Male mit mir gesprochen haben.« Sie nahm das Buch. »Vielleicht tut es mir gut, wenn ich merke, dass ein Mann an mir auch noch etwas anderes interessant findet als

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