Bruno Chef de police
die mit einem roten Band zugebunden waren. In der Ecke stand ein vorsintflutliches schwarzes Telefon. Für einen Computer gab es hier offenbar keine Verwendung, nicht einmal für eine Schreibmaschine, nur für einen alten Füllfederhalter, der, sorgfältig verschlossen, auf einem beschriebenen Briefbogen lag.
»Ich habe heute schon mit Paris telefoniert und mit einem Freund aus dem Justizministerium gesprochen. Was er mir sagte, habe ich dann auch von einem ehemaligen Kollegen im Elysée-Palast zu hören bekommen«, erklärte der Bürgermeister. »Beide glauben, dass man aus unserem Schaden politischen Nutzen ziehen könne, und ich muss sagen, ich an ihrer Stelle würde wahrscheinlich genauso denken.«
»Aber wir sind nicht an ihrer Stelle, Monsieur. Wir in Saint-Denis sind in einer scheußlichen Situation, die noch schlimm enden kann«, erwiderte Bruno.
»Na ja, früher war ich an ihrer Stelle und weiß deshalb, wie sie ticken. Aber Sie haben völlig recht. Wir müssen überlegen, was das Beste für Saint-Denis ist.« Der Bürgermeister sah zum Fenster auf den kleinen Marktplatz und die alte Steinbrücke hinaus. »Wenn sich diese Geschichte hinzieht und sich zu einer hässlichen Konfrontation zwischen Arabern und Rechtsextremen auswächst, könnte es für lange Zeit ungemütlich bei uns werden, und das würde womöglich viele Touristen davon abhalten, uns in nächster Zeit zu besuchen.«
»In erster Linie kommt es doch wohl darauf an, den Fall aufzuklären«, sagte Bruno, obwohl er für die Sorgen des Bürgermeisters durchaus Verständnis hatte. Schließlich war dieser für fast dreitausend Seelen verantwortlich und das Schicksal einer Stadt, deren Geschichte Jahrhunderte zurückreichte und nicht zuletzt ihren Ausdruck in der
mairie
und dem altehrwürdigen Raum fand, in dem sie sich gerade aufhielten. Bruno erinnerte sich an seinen ersten Besuch und sein Vorstellungsgespräch bei ebendiesem Mann, der damals, um einiges jünger, noch große politische Ambitionen verfolgt und einen Sitz im Senat angestrebt hatte, während Brunos einzige Empfehlung ein Brief von dessen Sohn war,
Capitaine
Mangin, dem besten Offizier, unter dem er je gedient hatte. Es war
Capitaine
Mangin gewesen, der ihre Einheit heil aus dieser beschissenen Mission in Sarajevo herausgeholt hatte. Bruno verdankte den Mangins sehr viel, dem Vater wie dem Sohn, die ihm beide ihr Vertrauen geschenkt hatten. Bruno hatte sich damals bei seiner ersten Begegnung mit dem Bürgermeister von der alten Balkendecke beeindrucken lassen, von den holzgetäfelten Wänden, den Teppichen und dem Schreibtisch, der für die Verwaltungsgeschäfte einer viel größeren und wichtigeren Stadt als Saint-Denis bestimmt zu sein schien. Aber das war, bevor er Saint-Denis kennengelernt und zu seinem Zuhause gemacht hatte.
»Ja, so ist es, und dafür sind die Kollegen in Périgueux und Lalinde zuständig«, entgegnete der Bürgermeister. »Falls es Schwierigkeiten gibt, wäre es gut, sie blieben auf Périgueux und Lalinde beschränkt. Sie verstehen doch, was ich meine, Bruno? Es wird also nicht einfach sein, unsere kleine Stadt aus der Schusslinie herauszuhalten, aber wir müssen es versuchen. Ich habe meine Freunde in Paris gebeten, ihre Aufmerksamkeit auf Périgueux zu richten, bin mir aber nicht sicher, ob sie mich auch verstanden haben. Vielleicht haben sie mich ja auch zu gut verstanden.«
Er seufzte und zögerte, ehe er weitersprach. »Da wäre noch ein Problem, das Sie interessieren wird. Ich habe soeben erfahren, dass unser lieber Montsouris für Montagmittag eine kleine Demonstration plant. Einen Solidaritätsmarsch, wie er sagt.« Dem Bürgermeister war anzumerken, dass ihm die Idee nicht gefiel. »Frankreich steht seinen arabischen Brüdern bei, unter der roten Fahne - so scheint er sich das vorzustellen. Ich soll mich bei Rollo dafür einsetzen, dass seine Schüler auf die Straße gehen und gegen Fremdenfeindlichkeit und Extremismus demonstrieren. Was halten Sie davon?«
»Wir können ihn wohl kaum davon abhalten«, sagte Bruno und überschlug bereits im Stillen, wie viele Demonstranten teilnehmen und welche Route sie einschlagen mochten. Vielleicht würde es nötig sein, die Durchgangsstraße für den Verkehr sperren zu lassen. Er erinnerte sich an das Gespräch mit Stéphane und Raoul auf dem Markt und fürchtete, dass ein solcher Solidaritätsmarsch auf wenig Gegenliebe stoßen würde. »Also sollten wir ihn gewähren lassen und dafür sorgen, dass der Rahmen
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