Buch Der Sehnsucht
wir wandern." Für denjenigen, der sogar die Sehnsucht verloren hat, weiß Hermann Hesse in der Heimat Trost: „Auch der Träume Quelle ist versiegt. Doch vertrau! Am Ende deines Weges wird Heimat sein." Die Sehnsucht nach Heimat ist nicht rückwärts gewandt, sie hält uns auf unserem Weg lebendig. Der Weg führt uns oft in die Fremde, in unbekanntes Land, wo wir uns bewähren müssen. In der Fremde sehnen wir uns nach Heimat. Wir wissen, dass wir nicht immer in der Heimat bleiben dürfen. Sonst werden wir zu Stubenhockern, denen die Weite des Lebens fehlt. Nur wer sich in die Fremde wagt, bekommt ein Gespür für die Heimat. Er sehnt sich zurück nach der Heimat, die er verloren hat. Doch seine Aufgabe besteht darin, mitten in der Fremde Heimat zu stiften, einen Raum zu schaffen, in dem Menschen sich zu Hause fühlen. Wo Liebe ist, dort entsteht Heimat.
UNZUFRIEDENHEIT UND UNRUHE
Schlechte Laune als Ausdruck der tiefen Unzufriedenheit mit sich und seinem Leben führt zur ständigen Unruhe und zum Herumvagabundieren. Man wandert nicht, um unterwegs zu sein, sondern man geht ziellos herum. Man nimmt den Weg gar nicht wahr. Man läuft einfach nur vor sich selbst davon. Sowohl der Geist als auch der Leib ist instabil. Er hat keine Mitte. Er kann nicht stehen bleiben, keinen Stand finden. Es ist eine innere Haltlosigkeit. Man hat keinen Grund, in dem man ausruhen kann. Es ist eine krankhafte Unruhe. Sie ist oft Anzeichen für eine Depression. Die Instabilität der Seele drückt sich im ständigen Gerede und in der Neugier aus. Das Gerede ist der Tod des Gespräches. In vielen Talkshows können wir das Gerede in Reinkultur erleben. Man redet viel. Aber es entwickelt sich kein Gespräch. Denn man hört nicht zu. Ständig wechselt man das Thema. Man lässt sich nicht auf den ändern ein. Er wird nur dazu benutzt, damit man das loswird, womit man glänzen kann. Das Gespräch kreist um Belangloses. Der Psychologe Wucherer-Huldenfeld nennt diese Tendenz „einen tiefgreifenden Sprach verfall". Der Mensch „erfährt sein Inneres als leer, dumpf und stumm; er hat nichts Wesentliches zu sagen und verbirgt diesen Zustand durch immer lauter werdendes Gerede. Das Gerede erweckt den Anschein, über alles Bescheid zu wissen, sowie höchster Interessiertheit und ist doch bodenlos."
Martin Heidegger hat in seinem berühmten Werk „Sein und Zeit" im Jahre 1927 in treffender Weise die Neugier beschrieben. Er kennzeichnet sie als „ein spezifisches Unverweilen beim Nächsten", als „zerstreute Aufenthaltslosigkeit". Die Neugier sucht „das Neue nur, um von ihm erneut zu Neuem abzuspringen. Nicht um zu erfassen und um wissend in der Wahrheit zu sein, geht es", sondern darum, von einem zum ändern zu hüpfen. Aber eigentlich ist alles gleichgültig. Nichts geht einen wirklich an. Das deutsche Wort spricht von einer Gier. Man ist gierig, immer etwas Neues zu erfahren, - um der eigenen Wahrheit auszuweichen.
DAS LEIDEN DES TANTALUS
Der Mensch in der Revo lte", so heißt ein Buch des französischen Existenzphilosophen und Dichters Albert Camus. Hier schreibt er von einem seltsamen Leiden vieler Menschen. Es besteht darin, dass sie diese Welt nicht genug besitzen. Camus bezeichnet diese Menschen als „sonderbare Weltbürger, Verbannte in ihrer eigenen Heimat. Außer in strahlenden Momenten der Fülle ist jede Wirklichkeit für sie unvollendet. Ihre Handlungen verlieren sich für sie in andere Handlungen, kehren mit unerwartetem Anblick zurück, um sie zu richten, fliehen wie das Wasser des Tantalus einer noch unbekannten Einmündung zu. Die Mündung zu kennen, den Lauf des Stroms zu beherrschen, das Leben als Schicksal in die Hand zu bekommen, das ist ihre wahre Sehnsucht." Der Mensch möchte die Schönheit dieser Welt in Fülle erleben. Er möchte die Schätze dieser Welt mit beiden Händen greifen. Aber sobald er greift, erfährt er, dass die Welt zurückweicht. Camus bezieht sich auf die griechische Sage des Tantalus, der in einem Bach voll frischen Wassers stand. Sobald er sich bückte, um das Wasser zu trinken, wich es zurück. Über ihm hingen köstliche Früchte an Zweigen, die fast sein Gesicht berührten. Doch sobald er danach griff, entzogen sich ihm die Früchte. Er ging leer aus.
So erleben viele Menschen diese Welt. Sie wollen die Lust des Daseins genießen. Doch sobald sie danach greifen, weicht sie zurück. So sehnt sich der Mensch danach, den Lauf des Baches zu beherrschen, damit er dann trinken
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