Buch des Flüsterns
war, auch und sogar noch nach dem Tod von Misak Torlakian und meines Großvaters Garabet Vosganian.
Wenn Simon Wiesenthal, der Lagerhäftling von Mauthausen, eine zusätzliche Legitimation zum Aufbau seines Netzes besaß, mit dem er den nationalsozialistischen Kriegsverbrechern nachspürte, dann war auch Armen Garo zweifellos der Richtige, die Spezialmission anzuleiten. Karekin Pastermadjian, wie er tatsächlich hieß, Inhaber eines in Nancy erworbenen Diploms in Agronomie, war erst dreiundzwanzig Jahre alt, als er am 26. August 1896 unter dem Namen Armen Garo an der Spitze eines Kommandos von fünfundzwanzig Leuten die Osmanische Bank besetzte und die Beendigung der Massaker an den Armeniern forderte. In seiner an die in Konstantinopel ansässigen Botschaften adressierten Erklärung sollte Armen Garo die historischen Worte aussprechen, die nicht nur das Ende des 19. Jahrhunderts markierten, sondern auch das gesamte folgende Jahrhundert: »Wir sind keine Kriminellen. Aber die kriminelle Gleichgültigkeit der Menschheit hat uns zu diesem Schritt getrieben.« Von der Vorstellung entsetzt, dass der ganze Staatsschatz in die Luft fliegen könnte, und dazu von den fremden Mächten gedrängt, die ihre eigenen Depots in den Tresoren der Osmanischen Bank hatten, akzeptierte Abdul Hamid, der blutrünstige Sultan, die Beendigung der antiarmenischen Grausamkeiten und erlaubte den Abzug des Kommandos nach Marseille, was mit der persönlichen Yacht des Direktors der Osmanischen Bank, Herrn Edgar Vincent, geschah, doch nicht bevor die drei Toten und die sechs Verwundeten der armenischen Gemeinde überstellt worden waren, wohingegen die restlichen sechzehn Mann ihre Revolver behielten, dafür die vierzig Bomben und elf Kilogramm Dynamit am Ufer zurückließen, mehr als genug, um den gesamten Schatz der Hohen Pforte in Staub und Asche zu verwandeln.
Armen Garo legte eine erste Liste mit mehr als sechshundert Namen der Personen an, die er für verantwortlich an den Massakern und Deportationen hielt. Weil aber die Zahl der Schuldigen ihre juristischen Ressourcen weitaus überstieg, reduzierten Armen Garo und Șahan Natali die Liste auf einundvierzig Namen. Dann hat er sie noch einmal verkleinert und behielt nur noch die sieben wichtigsten Verbrecher darauf, die übrigens auch vom Kriegsgericht schon zum Tode verurteilt worden waren. Er besorgte sich ihre Fotos sowie die ihrer Familien und vertraute sie der Gruppe an, die mit der Vollstreckung des Urteils beauftragt war.
Die Gruppe gab sich den Namen »Nemesis«. Die Göttin der Rache.
Im Laufe der nächsten zwei Jahre wurden alle sieben Verbrecher auf der Liste von Armen Garo von Angehörigen des Spezialcorps »Nemesis« durch Erschießung hingerichtet. Allein Enver Pascha, der Kriegsminister, bildete eine Ausnahme, einmal dem Gewehrfeuer Misak Torlakians entkommen, sollte er dies nicht auch noch ein zweites Mal schaffen, da ebenfalls ein Gewehr auf ihn zielte, an dessen Abzug der Finger eines Armeniers lag, doch gehörte dieser nicht der Gruppe »Nemesis« an, sondern war Soldat in der bolschewistischen Armee.
Der, mit dem jede Liste begann, unabhängig davon, wie lang sie war, war Talaat Pascha, der Innenminister. Er hatte eigenhändig das Telegramm aufgesetzt, das die Deportationen auslöste, und an die Wali der Wilajete geschickt, in denen Armenier wohnten. Zu seiner Bestrafung war Solomon Tehlirian ausgewählt worden, ein Student, der sich in den Partisanenkämpfen ausgezeichnet hatte; was ihn aber besonders hervorhob, war die Tatsache, dass er schon 1919 aus Eigeninitiative die Reihe der Urteilsvollstreckungen begonnen hatte, indem er Harutiun Măgârdician, dem Agenten von Talaat, eine Kugel mitten ist Herz schoss. Dieser hatte die erste Liste mit dreihundert armenischen Intellektuellen angelegt, die am 24. April 1915 verhaftet und größtenteils erschossen werden sollten. Somit wurde der 24. April, der Tag, an dem der größte armenische Dichter, Daniel Varujan, erschossen wurde, zu dem Tag, an dem die Armenier überall auf der Welt des Völkermords von 1915, der auf unterschiedliche Weise bis 1922 anhielt, gedenken.
Tehlirian hat seine Mission nach einer beinahe sechs Monate dauernden Suche zu einem guten Ende gebracht. Unweit seiner Wohnung in der Berliner Hardenbergstraße, Ecke Fasanenstraße wurde Talaat von Solomon Tehlirian durch einen Schuss in den Nacken getötet. Solomon Tehlirian war an ihm vorbeigegangen, um ihn eindeutig zu identifizieren, dann hatte er sich
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