Buch des Flüsterns
Filimon ihn in Anghel Chioruls Kneipe sah, umarmte er ihn mit allem Respekt, den die anderen Gäste durchaus verstanden, als sie sahen, dass sich Filimon erst nach dem Alten niedersetzte und beim Gehen ihm die Tür öffnete und erst nach ihm hinaustrat. In seinem armenischen Blut mit steil ansteigenden Pfaden vertraut, schaffte Hartin Fringhian den Aufstieg zur Herde, der er dann auf allen ihren Wegen durch die Berge und Hügel des Karpatenbogens folgte. Über seinen Smoking, den er partout nicht abzulegen bereit war, zog er eine Hirtenjacke, und um die Hosenbeine wickelte er Fußlappen, nur die Lackschuhe zog er aus, sie waren längst durchlöchert, dafür bekam er schwere Militärschuhe mit geriffelter Sohle, sein Anzug mit dem seidenen Kragenspiegel, ausgebeult und an den Ellbogen fadenscheinig geworden, passte unter die weite Hirtenjacke, die er sich unter dem Kinn zuschnürte. Er hatte sich angewöhnt, einen breiten Hirtengürtel zu tragen, unter dem sein Testament, vom Leder festgehalten, besser aufgehoben war als irgendwo sonst, bloß an den Rändern vergilbte es mit der Zeit vom immer erschöpfteren und weniger werdenden Schweiß seines alten Leibes. Und als eines Abends die Paragină-Brüder 21 und Vasile Sava kamen, um die Verpflegung für ihre Leute abzuholen, scheute sich Nicolae Filimon nicht, Hartin Fringhian an seiner Seite zu belassen. Ion Paragină umrundete ihn, zog seine Pistole und wies damit auf den Alten: Und wer ist dieser da? Der Hirte, ebenso groß wie der Alte, machte ein paar Schritte auf ihn zu und drückte ihm den Pistolenlauf mit dem Finger zur Seite. Steck sie ein, Ion. Der Alte gehört zu uns. Er versteckt sich vor der Securitate ... Ion Paragină ging zu seinem Bruder Cristea hinüber und wies auf den Anzug, den man unter der offenen Jacke sehen konnte: Sag bloß, das ist ein Minister ... Der ist viel mehr als das, antwortete Nicolae Filimon. Er ist eine Art König. Er ist der Zuckerkönig Rumäniens. Die Brüder nahmen den Käse in den Ledersäcken und die Butter in den Holzschachteln und verschwanden, nachdem sie Vasile Sava ausgeschickt hatten, das Gelände zu erkunden. Das nächste Mal kam Cristea Paragină allein. Alles in Ordnung, der Herr, sagte er zu Hartin Fringhian. Ich habe Timaru gefragt, und der hat mir gesagt, dass er euren Namen schon gehört hat. Und er hat mir aufgetragen, dir zu sagen, du sollst bloß noch bleiben, denn die Securitate verhaftet reihenweise Leute wie dich. Und weil der Abend hereingebrochen war und sie das Feuer angezündet hatten, und weil Hartin die Buchführung in Nicolae Filimons Kladde abgeschlossen hatte, aber vor allem, weil er ihn hatte »Herr« sagen hören, was in jener Welt der Waldarbeiter und Hirten ungewöhnlich war, traute auch er sich zu fragen: Aber wer seid Ihr?
Sodass Hartin Fringhian, paradox, inmitten der Fröste, mit jenen unbekannten und rauhen Menschen auf einer Pritsche schlafend, neue Betätigungen lernend und sich an das Leben jenseits der Baumgrenze gewöhnend, in jenem Winter zwischen den Jahren 1948 und 1949 eine der friedvollsten Phasen seines Lebens durchlebte. Aus der Welt draußen drang kein Zeichen bis hierher durch, nur er hatte durch eine Familie aus Vidra, bei der meine Großeltern sich während des Krieges eine Zeitlang aufgehalten hatten, Großvater einen kleinen Zettel zukommen lassen, auf den er die Initialen seines Namens in armenischer Schrift geschrieben hatte, damit Großvater wusste, dass er am Leben war.
Sie saßen ums Feuer, schwiegen zumeist, erzählten manchmal oder machten Pläne für eine Zukunft, die allein dort, im Schnee und nahe am Himmel, möglich zu sein schien. Die Brüder Paragină, Vasile Sava, Hauptmann Mihai Timaru, Gheorghiță Barbu, manchmal auch der Mönch Filimon Tudose vom Kloster Moșinoaia. Aber am häufigsten Cristea Paragină, der wegen der Verpflegung kam, und Amăruței, einen Knaben aus Crucea de Sus, anwies, mit den Quersäcken am Wegrand stehen zu bleiben und Bescheid zu geben, wenn sich aus dem Tal jemand heimlich näherte. Cristea Paragină hatte den Alten ins Herz geschlossen. Hartin Fringhian erzählte ihm von den Orten, die er besucht hatte, von den Hochebenen und Bergen Anatoliens, über das Ameisengewusel in Konstantinopel und die Häfen des Mittelmeers. Cristea hörte entrückt zu und ritzte mit dem Bajonett Zeichnungen in den gefrorenen Boden. Er ließ sich von den Bukarester Salons erzählen, dem orientalischen Ball im Militärcasino, über die königliche
Weitere Kostenlose Bücher