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Buch des Flüsterns

Buch des Flüsterns

Titel: Buch des Flüsterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Varujan Vosganian
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Schafe und der Käselaibe, die nach Focșani auf den Markt gebracht wurden. Um geräucherte Fleischwaren gewickelt oder zerknüllt zwischen den Flaschen, mitunter auch vom Wind herbeigeweht, erreichten ihn hie und da Zeitungsseiten; er strich sie glatt und las sie ausgiebig, dabei versuchte er, sich die Wirklichkeit hinter dem vorzustellen, was er da las. Nachrichten kamen mit Verspätung, eine aber erreichte ihn zur rechten Zeit, und zwar zwei weitere Frühlinge später – die Nachricht von Stalins Tod. Hartin Fringhian sollte in jenem Frühling achtzig Jahre alt werden. Es ist an der Zeit, beschloss er. Er rasierte sich den Bart mit dem Rasiermesser in einer Spiegelscherbe ab, zog die Hirtenjacke aus, bürstete, so gut es ging, den fadenscheinigen schwarzen Anzug – die Ellbogen waren ausgebeult, und unter den Achseln war er weiß und steif vom getrockneten Schweiß –, verabschiedete sich vom guten Nicolae Filimon und schlug den umgekehrten Weg ein, nach Vidra, Panciu und Odobești, und dann bis nach Focșani hinunter.
    Wie du siehst, Garbis, lebe ich noch, sagte er, als er in den Hof unseres Hauses in Focșani eintrat, und kam damit jeder anderen Frage zuvor. Er versuchte sich immer noch aufrecht zu halten, aber er war älter geworden, die versteckten Gebirgspfade zwingen einen, gebeugt zu gehen, und bei diesem Alter fällt es schwer, sich aus der Hüfte heraus aufzurichten, vor allem, wenn man immerzu die Umgebung im Blick behalten muss. Sein Gesicht war zerfurchter, rauher geworden von der Kälte. Obwohl er die Hände ineinandergelegt hatte, damit man es nicht sehen könne, zitterte die linke Hand leicht, und er konnte es nicht verhindern. Ich brauche ein Zimmer, sagte er. In den Häusern der Kirche, schlug Großvater vor. Da ist noch ein Zimmer in der ehemaligen Schule, neben Minas, dem Blinden. Nimm es mir nicht übel ... Hartin Fringhian nahm nichts übel, er bat nur darum, dass die Tür zur Nacht gut zu verschließen und Tisch und Stuhl darin sein müssten. So soll es sein, bestätigte Großvater. Er wollte ihn fragen, ob er den Tisch benötige, um an seinem Testament weiterzuschreiben, aber er verwarf die Frage. Er hatte ohnehin gesehen, dass dieser die Hände in Höhe seines Leibgurtes hielt, und daraus den Grund geschlossen. Wovon wirst du leben,
Baron
Hartin? Wovon lebst du, Garabet? Ich bin Rentner. Beziehe eine Rente vom Staat ... so gut wie nichts ... Wenn man es recht bedenkt, bei dem, was dir der Staat genommen hat, könnte er dir auch ein klein bisschen was geben. Der Staat ... das ist nicht gut, schüttelte Hartin Fringhian den Kopf, er hatte sein Lebtag kaum den Kopf geschüttelt, meistens hatte er zugestimmt, und zwar nicht dem, was andere gesagt hatten, sondern seinen eigenen Gedanken. Was will man denn vom Staat erwarten? Ich glaube, ich werde wieder ein Geschäft beginnen. Ein Geschäft?, wunderte sich Großvater. In welcher Welt lebst du denn,
Baron
Hartin? Die Geschäfte von früher sind geschlossen worden, die Geschäftswelt funktioniert nicht mehr so, wie du sie kennst, der Staat macht nun die Geschäfte. Hartin Fringhian beugte sich leicht vornüber und sagte mit leiser Stimme, wobei er wieder in die Seiten des
Buchs des Flüsterns
zurückkehrte: Bist du tot, Garabet? Du bist nicht gestorben. Bin ich gestorben? Nein, gottlob. Dann ist auch das Geschäft noch nicht tot. Und Kundschaft findet sich immer.
    Einige Zeit später, als mein Großvater frühmorgens zu ihm ging, ihm ein bisschen die Zeit zu vertreiben, fand er ihn aufgeräumt vor, er bürstete soeben mit einer angefeuchteten Bürste die Schulterpartien seines Smokings. Ich fahre nach Bukarest, Ware beschaffen, sagte der alte Hartin, und Großvater Garabet verzichtete auf die Frage, was das nun für eine verrückte Idee sei. Ich bitte dich nur um das Geld für eine Fahrkarte dritter Klasse. Du kriegst das Geld binnen eines Monats zurück. Da er glaubte, der Alte habe einfach so über Versorgungen gesprochen, die er in Bukarest zu tätigen habe, reagierte Großvater nicht sofort, sodass der andere, aufgrund des grausamen Lebens, das er in den letzten Jahren geführt hatte, annahm, Großvaters Zögern bedeute eine Ablehnung. Er packte Großvater am Kragen, der nun erst merkte, wie stark seine Hand zitterte. Setz dich, sagte Hartin Fringhian. Wenn du nicht glaubst, dass ich dir das Geld zurückgeben kann, machen wir Folgendes. Du gibst mir zehn Lei von diesen heutigen, und ich trage dich mit einer Million von jenen guten Lei von

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