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Buch des Flüsterns

Buch des Flüsterns

Titel: Buch des Flüsterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Varujan Vosganian
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Fringhian. Lass sie doch glauben, ich hätte mich zu jenem Zeitpunkt in Bukarest befunden. Gut, willigte Großvater ein. Aber wo wirst du dann denn sein? Oberhalb von Vidra. Auf Nicolae Filimons Alm. Ich werde Schafhirte. Ich bin sicher, dass sie nicht darauf kommen, mich ausgerechnet dort oben zu suchen. Sorgfältig packte er seine Papiere in die Aktentasche. Großvater zog einen Stuhl herbei und setzte sich ihm gegenüber. Wer sie, Hartin? Fringhian beugte sich über den Tisch, und wenn er bisher im Flüsterton gesprochen hatte, so sagte er nun kaum vernehmlich: Die Securitate ... Die Wahrheit ist, dass sie mich fassen wollen, sie wollen mich verhaften ... Dass sie meine Fabriken gestohlen haben, reicht ihnen nicht ... Und du also Schafhirte? Hartin Fringhian zuckte mit den Schultern. Letztlich, was sind wir denn schon, Garbis? Was waren meine Großmutter und deine Großmutter? Oder der Großvater deiner Großmutter – was denn sonst als ein Volk von Hirten? Vielleicht wäre es besser gewesen, dort oben in den Bergen zu bleiben; wir hätten nicht herunterkommen sollen in die Ebene und in die Stadt. Sieh, was uns da blühte ... Vorerst werde ich dort oben, jenseits von Vidra, bleiben, bis sich die Dinge einigermaßen sortieren. Wie lange kann dieser Irrsinn dauern? ... Die Amerikaner werden kommen und die Russen davonjagen mitsamt ihren Kommunisten und all dem Pack. Es wäre besser gewesen, ich hätte auch Sahag Bescheid gesagt, sagte sich Großvater. Er hätte sich gefreut, das mit den Amerikanern zu hören. Jetzt bin ich weg, sagte Hartin Fringhian noch. Bevor die Leute aufstehen. Kann sein, dass morgen die Securitate vor deiner Tür steht. Hast du Gold? Woher denn, zuckte Großvater mit den Schultern. Ich hab alles ausgegeben, um diesen Hausplatz zu kaufen, und was mir dann noch übrig geblieben war, haben wir gegen Lebensmittel eingetauscht. Sahag hat in Craiova je zwei Napoleons für einen Sack Weizen bezahlt ... Hartin, einen halben Kopf größer, wiewohl Großvater beinahe einen Meter achtzig maß, aufrecht, das Haar weiß, buschige Augenbrauen, lachte und klopfte ihm, auf der Schwelle stehend, auf die Schulter. Mir kannst du es sagen, Garbis, Junge. Ich habe haufenweise Gold und Edelsteine, da kannst du den Arm bis zur Schulter reinstecken. Alles steht da drin ... und dabei klopfte er auf den Verschluss seiner Aktentasche. Darum suchen sie mich. Und eben deshalb werden sie mich nicht finden. Als er ging, war die Morgendämmerung noch nicht angebrochen. Großvater begleitete ihn. Sie nahmen den Zug nach Odobești und von dort aus die Schmalspurbahn, mit der die Waldarbeiter durch Panciu nach Vidra fuhren. Dort wandte Fringhian sich an Großvater: Du gehst zurück nachhause. Ich komme schon zurecht. Und dann ist es immerhin besser, du weißt nichts, falls man dich fragt. Mich kennt Filimon, ich habe ihm Melasse für die Tiere verkauft. Dir wird er nicht vertrauen. Großvater schaute ihm hinterher, da er sich in jener für Landwege ungewöhnlichen Haltung entfernte, in dem Smoking, der dabei war zu verkommen, und den dreckigen Schuhen, die Aktentasche wie ein Steuereintreiber an die Brust gepresst.
    Nun befindet sich der Erzähler in einem gewissen Dilemma. Er kann Hartin Fringhian auf seinen Gebirgswegen von Vidra nach Tulnici, dann Richtung Lepșa und zum Wasserfall von Putna nicht folgen. Die Pfade sind schmal, wer sie nicht gut kennt, kommt da schwerlich durch, die Leute hier sind einsam und misstrauisch, die Sommer sind kurz und schattig, während die Winter lang sind und kalt. Und über Nicolae Filimons Alm und Sennerei erfahren wir nur, dass seine Schafhirten ihre Herden über die Hügel in die Berge trieben, mal in Țifești, mal in Străoane oder Fitionești, mal in Cucea de Sus und sogar bis hinauf nach Nereju, wo sie sich am Fuße des Moșinoaia-Klosters niederließen. Hartin Fringhian fand schließlich Nicolae Filimon, vielmehr fand der Besitzer der Schafherden ihn, nachdem er erfahren hatte, dass ein seltsam gekleideter alter Mann nach seiner Sennerei fragt und auf der Suche nach ihm bei den Leuten anklopft und nach einer Stube zum Übernachten fragt, es aber vorzieht, unter dem Vordach zu übernachten, wenn er die Stube mit anderen teilen soll. Und er habe sich eine schmale Aktentasche mit einem kräftigen Bindfaden am Handgelenk festgebunden, darin scheint er kein Geld zu haben, eher sei der Mann verrückt. Aber wenn einer verrückt ist, dann ist es nicht bloß einer, sondern zwei, denn als

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