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Buch des Flüsterns

Buch des Flüsterns

Titel: Buch des Flüsterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Varujan Vosganian
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langen und betretenen Schweigen bedrohlich vor. Sie werden anfangen, mit Steinen zu werfen, sie werden sich an ihm nicht einmal die Hände schmutzig machen, er hatte so etwas schon in seiner Kindheit gesehen, damals wurden Steine geworfen, bis einer tot war, jetzt konnte man ihn auf diese Art vertreiben, bis an den Rand der Schande. Er wollte davonlaufen, den Sack hinter sich herziehen. Der andere streckte tatsächlich die Hand aus, aber er erhob sie nicht über die Schulter, um zu werfen, sondern streckte sie einfach so aus und öffnete die Faust. Er hatte keine Steine in der Hand, wie der Alte befürchtet hatte, sondern Nüsse. Und weil der Alte angesichts dieser unerwarteten Geste ratlos dastand, ging der Mann mit der Mütze mit offener Hand zwei Schritte auf ihn zu. Fringhian richtete sich vollends auf, wurde wieder der Größte von allen und schaute sie an. Dann griff der Alte mit einer schnellen Handbewegung, damit der andere es sich nicht anders überlege, nach den Nüssen. Ich kenne dich, sagte er, du bist Ștefan Niculescu. Heizer, ein guter Arbeiter ... Ich habe dich in mein Testament aufgenommen, damals schon ... Er schaute sich um: Euch auch, alle ... Wenn ich sterbe, gehört die Fabrik euch. Ihr müsst bloß den Mut aufbringen, sie zu verlangen. Und wenn ihr wollt, könnt ihr sie danach verkaufen, ich habe im Testament festgehalten, wie ihr sie verteilen sollt ... Aber es wäre schade, es ist eine gute Fabrik, nur solltet ihr ein bisschen besser auf sie achten ... Der Mann mit der Mütze gab den anderen ein Zeichen, und diese folgten ihm, beugten sich hinab und begannen Nüsse einzusammeln. Die Größten unter ihnen schüttelten die Bäume, damit es schneller ginge. Es waren viele Hände, die Säckchen füllten sich. Niculescu, Heizer oder Direktor, oder sowohl das eine wie das andere, schlenkerte mit den Händen, nahm die Mütze ab und deutete eine Art Lächeln an. Dann bat er den Hüter, die Säcke mit den Nüssen auf die Schultern zu nehmen und den alten Mann zum Bahnhof zu begleiten. Er reichte ihm nicht die Hand, zumal er die zerknautschte Mütze noch in den Fingern hielt. Aber er sagte, und das sollte wohl als eine Art Verabschiedung oder Entschuldigung klingen: Kommen Sie nicht wieder ... Herr ...
    Fringhian kam nicht wieder. Aber er hatte mit dem Hüter vereinbart, dass er sich nach Verlassen des Zuges fernhält vom Obstgarten, dafür ihm die Säcke übergibt, die er dann, zusammen mit den Arbeitern die Nüsse aufklaubend, füllen und ihm zum Bahnhof bringen wird. Hartin Fringhian erfragte alle Namen, machte ein Kodizill und nahm sie alle in sein Testament mit auf. Die Helfer freuten sich über so viel auf dem Papier festgehaltenes Geld, sie bedankten sich artig, aber sie wären sehr viel dankbarer gewesen, wenn der alte Mann zur Vergütung ihrer Arbeit auf die Zigtausende in seinem Testament verzichtet und ihnen dafür zwei, drei Lei gegeben hätte, mit denen sie sich in der Bahnhofskneipe einen Schnaps hätten kaufen können. So großzügig Hartin Fringhian nach seinem Tode war, so besonnen und berechnend war er zu Lebzeiten.
    Zumal sein Geschäft eben erst anlief. Er schloss sich einige Tage lang in seinem Kämmerchen im Hof der armenischen Kirche zur heiligen Maria von Focșani ein, mümmelte Trockenbrot mit Lindenblütentee und spazierte dann im Trippelschritt durch die Straßen, schaute in die Schaufenster, durchstreifte die Schankstuben und Wirtshäuser, betrat Geschäfte und fragte die Verkäufer dies und das, beriet sich mit Sahag Șeitanian und mit anderen, die teils noch Geschäften nachgingen, wie auch immer beschränkt, wie es zu der Zeit eben möglich war, teils früher geschäftlich tätig waren und trotz des Verlustes ihrer Verkaufsläden ihre Gewohnheiten nicht abgelegt hatten.
    Es ist an der Zeit, mich umzuorientieren, beschloss er. Die Zeit ist für Süßigkeiten nicht eben günstig. In solch trüben Zeiten ziehen die Leute es vor, ihre Bedrängnisse wegzutrinken, statt an Feiertagen an Süßigkeiten zu lutschen. Sie kaufen eher gesalzene Sachen, die zum Trinken anhalten, als Süßwaren, die den Durst abwürgen.
    So kam es, dass aus dem Zuckerkönig Hartin Fringhian der Händler für gesalzene Naschereien wurde. Bei Mercan, dem Luftmagier, hatte er sich ein paar bauchige Dunstgläser mit angeschlagenem Rand ausgesucht, damit er sie umsonst mitnehmen konnte. Er warf eine Handvoll grobkörniges Salz hinein, goss abgekochtes Wasser darüber und ließ die geschälten Nusshälften

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