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Buch des Flüsterns

Buch des Flüsterns

Titel: Buch des Flüsterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Varujan Vosganian
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darin herumschweben. Etwa zwei Tage genügten, damit sie sich gehörig mit Salz tränkten. Worauf er die aus der Beize gefischten Nüsse in einer Pfanne röstete und begann, die Wirtshäuser aufzusuchen und geröstete gesalzene Nüsse zu verkaufen, die bei einem Bier oder einem sauer Gespritzten wunderbar weggingen. Da mittlerweile die kleinen Krämerläden und Kolonialwarengeschäfte verschwunden waren und mit ihnen die ungeschälten oder in Salz gerösteten Erdnüsse, die türkischen Haselnüsse, die Pistazien und Mandeln, er also keine Konkurrenz hatte, und die Kneipenwirte diejenigen, die Kürbis- oder Sonnenblumenkerne verkauften oder nagten, wobei Letztere allerorten die Schalen achtlos ausspuckten, scheel anschauten, ließ sich Hartin Fringhians Handel mit gesalzenen Nüssen recht gut an. Morgens, wenn die Kneipen geschlossen waren, die Wirte den Tresen polierten oder klebrige Reste von den Tischen wuschen, wenn die Säufer noch schliefen und sich ihr Blut klärte, setzte Hartin Fringhian sich vor der armenischen Kirche oder vor dem Bahnhof auf den Bürgersteig und verkaufte die geschälten Nüsse aus einer Schöpfkanne. Und zu den Feiertagen ging er in die armenischen Häuser und verkaufte mit kleinerem Maß, also mit der Tasse, damit der Preis nicht als zu hoch erschien, kleingehackte Nüsse für den süßen Nusskuchen, die Baklava oder die Anusabur-Suppe. Weil die ursprüngliche Investition zu vernachlässigen war, lief der Handel mit den Nüssen ziemlich gut, so gut, dass Hartin Fringhian es sich bei Wintereinbruch erlauben konnte, sich in Weißmanns Gebrauchtwarenladen neben der Fleischhalle einen gebrauchten Mantel zu kaufen, einen an den Ellbogen abgeschabten, aber sehr warmen Mantel, den der Jude von irgendwelchen trauernden Verwandten erhalten hatte. Solcherart eingemummt, traute sich Hartin Fringhian, den Radius seiner Geschäfte auszuweiten. Zu den hohen Feiertagen quetschte er sich in den Nachtzug nach Bukarest, wo man ihm gegen eine Handvoll Nüsse einen Platz in den zugigen Waggons der dritten Klasse zuwies. Dort ging er schnurstracks zur Armenischen Kathedrale auf dem Boulevard Carol I., der nun Boulevard der Republik hieß, und verkaufte seine Nusskerne. Da ist der Umsatz höher, erklärte er denen, die den Sinn seiner Reisen nicht recht begreifen konnten. Für die Bukarester Armenier, anspruchsvollere Leute, wählte er die beste Ware aus und präsentierte sie verlockender. Er knackte die Nüsse sehr vorsichtig mit einem kleinen Schusterhammer, den er sich von Anton Merzian ausgeliehen hatte, dann entnahm er ihnen das ganze Innere, die Hälften noch fest miteinander verbunden. Auch heute, da ich das
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schreibe, ein halbes Jahrhundert nach jenen armenischen Festen und den Gesprächen nach dem Gottesdienst, die von den Armeniern im Kirchhof stets noch in die Länge gezogen wurden, gibt es nicht wenige Bukarester, die sich noch gut an Hartin Fringhian erinnern. Wie er die Kirche betrat, aus der Manteltasche ein paar Kerzenstummel nahm, die er wahrscheinlich von Arșag, dem Glöckner aus Focșani, bekommen hatte, sie anzündete und dann hinausging, um reglos am Ausgang des Kirchhofs zu verharren, allerdings auf der Hofinnenseite, damit er nicht von der Miliz verjagt werden konnte. Dort verkaufte er seine wunderbaren Nusskerne, rund waren sie wie Taubeneier. Männer, die heute, da wir das
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lesen, aufs Alter zugehen und damals Knaben waren, wissen, dass ihre Eltern im Vorbeigehen den alten Hartin Fringhian in seinem abgeschabten Mantel, die Reisetasche mit den Nüssen zu seinen Füßen, kaum grüßten. Sie schämten sich, ihm für die Kanne voller Nüsse das Kleingeld hinzureichen, ausgerechnet ihm, den sie noch so gut aus der Zeit kannten, da der zerlumpte Smoking ein glänzendes Gewand war; und in ihrer Scheu schickten sie die Kinder zum Nüssekaufen. Allmählich kannte Hartin Fringhian auch die Vornamen der Kinder, gab ihnen noch eine oder zwei Nüsse obendrauf, die sie dann auf dem Nachhauseweg essen konnten. Und dann die Strecke zurück zum Bahnhof, so gut es ging unter Umgehung des Zentrums, um denen aus dem Weg zu gehen, die ihn – andere, keine Armenier – hätten erkennen können. Er kehrte mit dem Nachtzug zurück, und wenn dieser sich nicht übermäßig verspätete, drehte er noch eine Runde durch die Kneipen in Bahnhofsnähe. Aber mit stets kürzer werdenden Schritten, er stützte sich an den Wänden ab, um zu Atem zu kommen, zog auch immer früher

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