Buch des Flüsterns
Fringhians Lager, keinen Grund für ein Zerwürfnis fänden, war das Erste, das sie, ohne die Augen des Toten zu schließen, unternahmen – lass ihn zusehen, dass wir ehrlich zählen, sagte Agop Aslanian, der Buchhalter der Kirchengemeinde, denn wir berauben keine Toten –, das Aufknoten der Taschentücher; sie zählten die Münzen und verglichen ihr Ergebnis mit dem, was im Registerbuch stand. Alles in Ordnung, Hartin, sagte Der Varjabedian, Gott erleuchte deine Seele. Am Ende jener tadellosen Zählung, die Hartin Fringhians Rechnungen mit der Welt bereinigte, schloss der Pfarrer ihm die Augen. Mariam Aslanian, die Pfarrerswitwe, bot an, ihm andere, besser aussehende Kleider ihres Mannes auszusuchen. Großvater gebot ihr Einhalt. Also wurde Hartin Fringhian seinem Wunsch gemäß in dem schwarzen Anzug begraben, der einmal ein Smoking war und jetzt, nach so langem Tragen, zwischen den Fingern zerkrümelte wie altes Papier. Da sie ihn nicht flicken konnten, nahmen sie ein weißes Leintuch, eine Art Gaze, mit dem sie ihn bis unters Kinn bedeckten, das schwarze Gewand ebenso wie die über dem Testament gefalteten Hände.
Dann entfaltete Großvater am Kopfende des Toten das Papierbündel und durchmaß mit ruhiger Stimme alle Zeilen, die Hartin Fringhian mit dem Wunsch unterstrichen hatte, sie bei seinem Tode verlesen zu lassen. »Unterzeichneter Hartin Fringhian, ohne lebende Vorfahren oder Nachkommen, verfüge, dass bei meinem Dahinscheiden mit meinem Vermögen auf folgende Weise zu verfahren ist: Ich begründe die Hartin-Fringhian-Stiftung, der ich meine Immobilie in Bukarest, Calea Victoriei 72, den Schmuck aus dem Safe Nr. 78 in der Rumänischen Handelsbank, 178.000 Aktien der Arad-Chitila-Gesellschaft und 72.000 Aktien der Banat-Gesellschaft übereigne, die sich in den Safes Nr. 1392, 1389, 1400 der BCR sowie in den Safes Nr. 2231 und 2361 der Rumänischen Nationalbank befinden, ebenso sämtliche Romcolind-Aktien, zehn Millionen Lei Schuldverschreibungen Iași in meiner Geldkasse und alle weiteren mobilen und immobilen Werte, Schuldbriefe, Aktien und Staatsanleihen, wo auch immer sie bei meinem Dahinscheiden sich befinden mögen, im Inland oder Ausland, dazu auch alles Weitere, das ich zu diesem Zeitpunkt besitzen werde. Zweck der Stiftung ist: In Bukarest ein Krankenhaus mit mindestens achtzig Betten zu erbauen und zu unterhalten, das mit allen nötigen Möbeln sowie modernen Instrumenten und Apparaten auszustatten ist; in Bukarest ein Heim für arme orthodoxe rumänische Schüler, Kinder von Landarbeitern, zu errichten und zu unterhalten. Der Rumänischen Akademie vermache ich 15 Millionen Lei, mit denen Immobilien für Tagungen anzuschaffen sind. Mit den Einkünften aus diesen Immobilien sollen Stipendien an arme und begabte rumänische orthodoxe Schüler vergeben werden. Dem Ministerium für öffentliche Bildung hinterlasse ich Mittel, aus denen Jahr für Jahr eine Grundschule mit den dazugehörigen Einrichtungsgegenständen in dörflichen Gegenden errichtet werden soll. Der Allgemeinen Armenischen Wohlfahrtsgesellschaft in Paris übereigne ich fünfzig Millionen Lei ...«
Großvater las noch eine Viertelstunde lang weiter, die ganze Liste mit den Immobilien, Grundstücken, Geldern, die er Kirchen, Universitäten, den verschiedensten öffentlichen Einrichtungen und den Angestellten seiner Fabriken vermacht hatte, ebenso die lange Auflistung von Begünstigten, von den älteren Partnern, Verwaltern, Vormündern und Notaren bis hin zu den neuesten, den Wirten, Kunden, Hungerleidern und Samaritern. Dann schloss er das Testament und schlug das große Kreuz dessen, der Wort gehalten hatte. Aber für Anton Merzian, der immerzu in Frageform redete, war es nicht anders denn selbstverständlich, noch eine Frage hinterherzuschieben: Wie viel Geld mag das insgesamt sein? Großvater wiegte den Kopf hin und her und wog die Blätter in seinen Händen, als könne deren Gewicht ihm die Summe verraten. Ich glaube, so etwa eine Milliarde von den guten Lei ... Eine Milliarde, sagst du?, verwunderte sich der Schuster. Also eine Million mal einen Tausender. Aha, einen Tausender, ja?, gab sich Anton Merzian nun aufgeklärt. Eine Milliarde ..., wiederholte Krikor Minasian unverständig, denn dieses Wort hatte er noch niemals ausgesprochen, und er schaute verwundert auf das ruhige Gesicht des Alten, der da in diesem so schmalen Sarg lag, der eher einer Flaschenkiste von Mercan glich, dem Verkäufer von gläsernem Leergut.
In aller
Weitere Kostenlose Bücher